0147 - Ich flog in die Todeswolke
hinweg. Es war das Flugzeug, das langsam in Startposition rollte. Suko wälzte sich auf den Rücken und sah den schwachen grünlichen Schein im Innern des Cockpits. Wer hinter dem Steuerknüppel saß, konnte er nicht erkennen, er rechnete jedoch damit, daß Mr. Mondo Lady X an Bord geholt hatte. Um so überraschter war Suko, als er die Frau nicht weit von sich entfernt am Boden liegen sah.
Mondo floh allein. Die Signalleuchten der Cessna zerfaserten langsam in der Dunkelheit.
Suko konnte sich die Flucht des Mannes nur so erklären, daß er völlig die Nerven verloren haben mußte.
Sein Hals tat ihm weh. Suko tastete mit der Hand nach und fühlte auch das Blut. Dieser scharfe Gegenstand hatte ihm hinten im Nacken die Haut aufgerissen.
Aber der Kopf saß noch dran, und das war die Hauptsache.
Er stemmte sich hoch und hatte mit dem Gleichgewicht zu kämpfen, so daß er nicht auf die Beine kam und erst einmal sitzenblieb. Die Welt um ihn herum schwankte, und Suko konzentrierte sich darauf, erst einmal ruhig zu werden. Dann mobilisierte er seinen Willen, und er schaffte es tatsächlich, die Schmerzen so weit zurückzudrängen, daß sie ihn kaum noch belästigten. Dieses Training hatte der Chinese in seinem Heimatland gelernt.
Rasche Schritte drangen an seine Ohren. Dann eine Stimme.
»Mann, Mister, daß Sie noch leben!«
Jetzt erst sah Suko Harry, den Agentenschreck. Der Driver stoppte vor Suko. Sein Atem ging keuchend und puffte als Wolke aus dem Mund.
»Mann, habe ich eine Angst gehabt«, gab er ehrlich zu. »Da ist ja geschossen worden.« Er schaute Suko fragend an. »Die Frau, nicht?«
»Genau.«
»Ein Teufelsweib.« Seine Augen wurden groß. »Da… da liegt sie ja. Haben Sie die …?«
»Ja.«
Harry wich unwillkürlich zurück. Plötzlich war ihm Suko unheimlich geworden. Sein Blick irrte in die Runde, und er sah auch die beiden Wesen am Boden liegen. Zum Glück war es noch dunkel, so daß er die zerstörten Schädel nicht erkennen konnte.
»Keine Angst«, sagte Suko und bemühte sich aufzustehen. »Ich bin von der Polizei. Die anderen sind oder waren Verbrecher.«
»Ich kann es immer noch nicht fassen«, murmelte Harry.
Suko lächelte. »War wohl nichts mit dem großen James Bond – oder?«
»Nee, Mister, wirklich nicht.«
»Sie können mich Suko nennen.« Der Chinese hatte es geschafft, auf die Beine zu kommen. Er ging noch nicht auf Lady X zu, sondern blieb erst einmal stehen und atmete tief durch. Er konnte es noch immer nicht glauben, daß er Lady X ausgeschaltet hatte.
Schließlich ging er zu ihr.
Barbara Scott, auch Lady X genannt, lag auf der Seite. Das lange schwarze Haar berührte wie ein dunkles Vlies den Boden, von dem die Feuchtigkeit als leichter Dunst hervorkroch. Die im Westen liegenden Flughafengebäude wirkten wie hell erleuchtete, makabre Zeugen, als Suko sich bückte und die Frau auf den Rücken drehte.
Er berührte das blutige Gesicht der Frau.
Plötzlich zuckte Suko zusammen. Seine Augen verengten sich, er fühlte noch einmal an der anderen Stirnseite nach und konzentrierte sich. Es gab keinen Zweifel.
Unter der Haut pochte eine Ader.
Lady X war nicht tot!
Diese Erkenntnis mußte der Chinese erst einmal verdauen. Dann untersuchte er die Frau genau, fand jedoch keinen zweiten Kugeleinschlag, obwohl Suko zweimal geschossen hatte. Mit einem Schuß hatte er demnach gefehlt. Ein Geschoß hatte eine fingerlange Wunde am Kopf der Frau hinterlassen und sie in eine tiefe Bewußtlosigkeit gerissen. Aber sie würde leben, von einem Streifschuß starb man normalerweise nicht.
Das hätte er wirklich nicht gedacht. Obwohl die Frau eine Verbrecherin gewesen war, fiel dem Chinesen doch ein Stein vom Herzen, daß sie noch lebte. Er tötete nicht gern, haßte es sogar, denn die Frau war ein Mensch und kein Monster. Jetzt allerdings kam es darauf an, daß er schnell reagierte.
Zum Glück war Harry da. »Ist Ihr Wagen noch fahrtüchtig?« fragte der Chinese.
»Glaube schon. Der hat zwar einige Bleipillen abbekommen, außerdem ist ein Scheinwerfer kaputt, aber das macht ihm nichts aus.«
»Okay, dann kommen Sie her.«
»Mach ich doch glatt.« Harry rannte davon, während Suko neben der Frau sitzen blieb und zahlreiche Gedanken durch seinen Kopf wirbelten.
Marvin Mondo mußte es ähnlich ergangen sein wie ihm. Auch er hatte sicherlich angenommen, daß Lady X tot war. Sonst wäre er nicht geflüchtet.
Welch ein makabrer Irrtum, der allerdings völlig neue Perspektiven eröffnete.
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