0149 - Die Nacht der flammenden Augen
mich am Leben ließen. Die kamen aus dem Knast und waren gefährlich.«
Das hatte ich erlebt. »Und die Augen haben euch nichts getan?« forschte ich weiter.
»Nein.«
»Aber ihr wußtet von ihrer Existenz.«
»Klar. Wir hatten auch Angst, aber wir haben uns daran gewöhnt. Wir durften nur nichts sagen.«
Ich nickte und deutete auf das Fenster. »Darunter liegt ein Friedhof. Welchen Sinn hat er?«
»Da sind sie hergekommen.«
»Wer?«
Charly wurde plötzlich blaß. »Die… die Toten. Ich habe mal eine Geschichte gehört, daß man sie nur begraben hat, damit sie wiederkommen. Hier spukt es, Sir. Ein böser Geist geht um. Oft höre ich die Trommeln. Dann ist Awamba da.«
»Und wer ist Awamba?«
»Ein gefährlicher Dämon. Man erzählt, daß er aus Afrika kommt. Er tötet alle durch seine Augen. Die sind so gefährlich. Und sie sehen alles.«
»Warum lebst du denn noch?« wollte ich wissen.
»Ich habe mich um ihn nicht gekümmert.«
»Und die beiden Mugger?«
»Die auch nicht. Sie standen ja auf der Seite der Dämonen. Wie auch die anderen Leute in den Häusern. Awamba hat versprochen, daß die Häuser hier nicht abgerissen werden. Ja, Sir, das hat er gesagt, ich habe es gehört.«
Was Lüge oder Wahrheit war, würden wir herausfinden. Charly konnte uns bestimmt nicht mehr viel sagen. Eine letzte Frage hatte ich noch. »In den Gräbern liegt niemand?«
»Nein. Sie sind alle wieder hervorgekommen.« Er schaute mich jetzt angstvoll an. »Sir, wenn die Toten auferstehen, ist das Ende der Welt nicht mehr weit. So hat unser Pfarrer in der Schule immer gesagt. Und die Toten sind auferstanden. Wie ich ja selbst gesehen habe. Irgendwann in der nächsten Zeit wird die Welt untergehen.«
Daran glaubte ich zwar nicht, aber ich ließ Charly bei seiner Meinung.
Er war noch nicht fertig. »Wissen Sie, Sir, wenn die Trommeln erklingen, ist es soweit. Dann soll wieder einer sterben. Die Trommeln sind die Begleitmusik des Todes. Jedesmal war es…«
Er verstummte.
Auch ich sprach nicht mehr weiter.
Beide hörten wir das gleiche Geräusch.
Trommelklang…
***
Wir lauschten.
Vier, fünf Sekunden vergingen in atemlosen Schweigen. Auch Glenda hatte dem Dialog zwischen mir und Charly gelauscht. Sie kam jetzt und hakte sich bei mir unter.
Sie hatte Angst, verständlich.
Charly preßte sich gegen die Wand. Warnend hob er den Finger.
»Ich habe es ja gesagt«, wisperte er. »Wenn die Trommeln erklingen, ist der Tod sehr nahe.« Er knetete unruhig seine Hände.
»Solange noch Zeit ist, können wir fliehen.« Er wollte weg, doch ich hatte etwas dagegen und hielt ihn fest.
»Hiergeblieben.«
»Aber die Toten.«
»Damit werden wir schon fertig. Wieso? Kommen denn noch mehr aus den Gräbern?«
»Weiß nicht.« Charly hob die mageren Schultern. Dann griff er in die Innentasche und holte einen Flachmann hervor. Zur Hälfte war er mit billigem Gin gefüllt. Charly schraubte die Pulle auf und nahm einen kräftigen Schluck, der seine Fahne noch verstärkte.
Dann rülpste er und ließ die Flasche so schnell verschwinden, als hätte er Angst, daß ich sie ihm wegnehmen könnte.
Noch immer hörten wir die Trommeln. Allerdings leiser als zuvor.
Charly schielte immer wieder zur Tür, doch da kannte ich kein Pardon. Er sollte mir noch einiges erzählen.
»Wo steckt denn dieser Dämon?«
»Wie meinen Sie?«
»Ich will wissen, wo er sein Hauptquartier hat. Das weißt du doch, oder nicht?«
»Schon…«
»Dann raus mit der Sprache.«
Charly zeigte mit zitterndem Zeigefinger auf das Fenster.
»Da ist der Friedhof.«
»Und… und der Keller.«
Ich horchte auf. »Welcher Keller?«
»Wo der Dämon haust, sagt man.«
Tief saugte ich die Luft ein. »Und das erzählst du mir erst jetzt?« fuhr ich ihn an.
»Sir, Sie haben mich vorher nicht danach gefragt.«
Ja, das stimmte auch wieder. Deshalb machte ich dem Penner auch keinen Vorwurf. Aber ich wußte, wohin ich zu gehen hatte.
Nur – was geschah mit Glenda? Ich konnte sie nicht mitnehmen, es würde zu gefährlich werden.
»Gibt es hier ein Versteck?« wollte ich von Charly wissen.
»Das hier sind alles Verstecke.«
»Ich meine sichere. Wo die Augen nicht hinkommen.«
»Die sind überall.«
Verdammt, da hatte er recht. Glenda wußte schon, worauf ich hingewollt hatte. »Ich gehe mit Ihnen, John. Sie können mich jetzt nicht abschieben. Mitgegangen, mitgefangen.«
Das Sprichwort kannte ich zwar, es gefiel mir in diesen Augenblicken aber nicht.
Doch Glenda blieb
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