015 - Das Blutmal
war.
Idusch berührte ihn an der Schulter. »Sie würden mir einen großen Gefallen tun, Kloss. Ich bin am Ende meiner Kraft. Kommen Sie mit!«
Auf dem Flur sahen sie Feuerwehrmänner mit verdeckten Körben, Besen und Schaufeln. Auch jetzt noch hing der widerliche Verwesungsgeruch im Haus.
Eine Schwester zeigte auf Idusch.
»Das ist er«, wisperte sie.
Ein drahtiger Mittfünfziger ging auf den Professor zu und streckte ihm eine Hand entgegen.
»Mertens«, sagte er. »Ich bin Zoologe. Man hat mich hergebeten.«
Idusch erwiderte den Händedruck kraftlos.
Der Zoologe überspielte die peinliche Situation mit der Routine des rein fachlich Interessierten.
»An und für sich nichts Besonderes in dieser Jahreszeit«, sagte er ruhig. »Da brechen schon mal Schwärme unserer fliegenden Freunde aus.«
»Freunde?« wiederholte Idusch angeekelt.
»Gewiss. Es sind völlig harmlose Tiere. Die menschliche Phantasie hat sie verteufelt.« Mertens rieb einen Zeigefinger an der Nase. »Haben Sie in Ihrem Haus einmal Fledermäuse gehabt oder in der Nähe gesehen?«
»Nie.« Fast feindlich musterte Idusch den Zoologen. »Und wenn schon! Wir pflegen so etwas nicht in unsere Koffer zu packen.« Und leise setzte er hinzu: »Sind alle tot?«
»Ja. Einige lassen wir im Institut untersuchen. Wegen Tollwutverdacht. Waren Sie kürzlich verreist?«
»Ja – zu einem Kongress in London. Was hat das damit zu tun?«
»London? Nichts. Ich dachte mehr an Urlaub. Fledermäuse, wie sie hier herumtollten, kommen im Allgemeinen nicht in unseren Breiten vor. Sie sind südlicher zu Hause. In der Schweiz beginnt …«
»Schweiz! Schweiz!« schrie Idusch erbost. »Ich kann das Wort schon nicht mehr hören.«
Er ließ den Zoologen stehen und ging zu Dr. Striebel und Veit.
Der Arzt warnte Veit. »Erschrecken Sie nicht!«
Der Raum war abgedunkelt bis auf eine kleine Leselampe in der Ecke. Dort saß die Krankenschwester und las.
»Es ist gerade eben eingeschlafen«, sagte sie beim Aufstehen. »Soll ich Licht machen, Doktor?«
»O nein! Wir sind froh über jede Minute, die das Kind schläft. Irgendwelche Vorfälle?«
Die Schwester hob die Schultern. »Das übliche, Doktor. Diese unglaublichen Schimpfereien. Ich kann es nicht fassen. Von Minute zu Minute fallen dem Mädchen neue Vokabeln ein. Da!« Sie zeigte auf das Tonbandgerät. »Wir nehmen alles auf.« Sie lächelte hilflos. »Es würde uns sonst wohl kaum ein Mensch glauben.«
»Hat die Kleine Nahrung genommen?«
»Ja. Uns blieb nichts anderes übrig, wir haben ein Eigelb in Rotwein verrührt. Auf Anordnung des Chefs.«
»Und die Reaktion?« fragte Dr. Striebel.
»Normal. Die Kleine schmatzte behaglich und sagte: ‚Guter Tropfen. Ach, es ist zum Weinen!« Ihr trauriger Blick streifte das ausdruckslose Gesicht des Vaters.
»Dann flenn doch, du Teufel!« tönte es frech aus dem dunklen Bett.
Den Worten folgte boshaftes Lachen.
»Soll ich denn verdursten?« fragte die hohe quarrende Stimme.
Die Schwester sah fragend zu Dr. Striebel.
»Soll ich?« Sie zeigte auf ein Glas Rotwein.
»Nein.« Der Arzt trat an das Bett. »Wollen wir es nicht mal lieber mit Milch versuchen. Kleine?« Er setzte sich auf den Bettrand.
»Milch?« wieherte das kleine Mädchen. »Die sauf mal schön selbst.« Es holte aus und schlug dem Arzt ins Gesicht. »Hau ab! Du störst nur.«
Veit sah das Gesicht des Kindes im schwachen Lichtschein. Ohne Kenntnis des richtigen Lebensalters hätte er Iduschs Tochter auf acht oder neun Jahre geschätzt. Die Augen funkelten tückisch und bösartig. Die Haut war krankhaft runzlig, das wachsgelbe Haar strähnig und schulterlang. Ein spitzer Finger schnellte vor und wies auf den Professor.
»Der Herr Vater! Sieh mal an! Zufrieden?« höhnte das grässliche Kind.
Jedes seiner Worte trieb sich wie ein schmerzhafter Pfahl in das Gehirn des Professors.
»Kleine«, setzte er verzweifelt an, um im gellenden Gelächter des Kindes gleich wieder zu verstummen.
»Spar dir den Schmus!« Das Mädchen setzte sich mit Schwung auf. »Wie geht’s der Frau Mama? Man wird ja wohl mal fragen dürfen.«
»Es geht ihr nicht sehr gut«, sagte Idusch. »Du machst ihr Sorgen, mein Kind.«
»Haben ihr die Fledermäuse keinen Spaß gemacht?« fragte es kalt. »Da lässt man sich was einfallen, um seine Mutter zu erheitern, und dann ist es auch nicht richtig.«
Das Mädchen sah ihre Besucher der Reihe nach an. Dann griff es blitzschnell unter die Decke, zog die Hand aber gleich wieder
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