015 - Das Blutmal
Tasche und gab ihn der Schwester. Die schloss auf und – schlug den Deckel hoch.«
Er zögerte.
»Und?« drängte Idusch. »Reden Sie ruhig weiter! Ich lebe schon in der Hölle. Neue Schrecken gibt es nicht mehr für mich.«
»Wir sahen nicht hin, Professor. Wir bemühten uns um Ihre Frau Gemahlin. Wir mussten ihren Kreislauf stützen. Wir schreckten erst durch die Geräusche auf. Und dann sahen wir das Unglaubliche: Aus dem Koffer stiegen Schwärme von Fledermäusen auf. Sie torkelten auf das Bett der Mutter zu und verkrallten sich in der Bettdecke, den Kopfkissen und im Haar der Unglücklichen. Ihre Frau wurde sofort ohnmächtig. Wir öffneten das Fenster. Umsonst. Als ich das Zimmer verließ, kreiste der Schwarm mit infernalischem Gekrächze um das Bett.«
Dr. Striebel steckte zwei Finger in den Hemdkragen, als ob ihm die Luft knapp würde.
»Kommen Sie bitte mit! Ihre Frau wird Beistand brauchen wenn sie ins Bewusstsein zurückkehrt.«
Er ging zur Tür, hielt sie auf.
Idusch kam nur mühsam hoch.
»Kommen Sie mit, Kloss?« fragte er kehlig.
Mit langen Schritten eilte Dr. Striebel vor Idusch und Veit durch die Gänge, vorbei an neugierigängstlich dreinblickenden Schwestern, die das Grauen in ihrem Haus nicht begriffen. Durch die Tür des Zimmers Nummer 12 dröhnte das Geisterkonzert der Fledermäuse.
»Schnell!« sagte Dr. Striebel. »Wir können die Viecher nicht noch weiter ins Haus Vordringen lassen.«
Er öffnete die Tür einen Spalt breit und schob den Professor und Veit ins Zimmer.
Trotz der Tageszeit war es düster im Raum. Ein Schwarm schreiender Fledermäuse tanzte einen höllischen Reigen über dem Körper Leonore Iduschs, den Schwestern und Ärzte vor den Angriffen der Tiere zu schützen versuchten.
»Sie muss hier ’raus!« schrie einer der Ärzte.
Allen stand unüberwindlicher Ekel im Gesicht.
Leonore Idusch war noch immer von einer gnädigen Ohnmacht umfangen. Ihr Gesicht war alabasterblass und in panischem Entsetzen verzerrt.
»In ein Tuch wickeln!« kommandierte der Arzt.
Drei Schwestern hüllten den Leib Frau Iduschs in ein Laken. Veit blickte auf den Professor. Ob er sich wünschte, dies Tuch möge ein Leichentuch sein? Im Gesicht des zerstörten Mannes zuckte kein Muskel.
Die Ärzte und Schwestern hoben den Körper hoch und trugen ihn wie etwas Lebloses aus dem Zimmer, in dem das infernalische Konzert höllisch anschwoll, um dann – ohne Übergang – abrupt abzubrechen.
Veit, der bereits auf dem Flur stand, überwand seinen Ekel und steckte noch einmal kurz den Kopf in das Zimmer. In der plötzlichen Stille wirkte der Raum wie das Schlachtfeld böser Träume.
Hunderte von kleinen grauen Kadavern lagen auf dem Bett, den Tischen und Stühlen, dem Fußboden und den Fensterbrettern. Ein Verwesungsgeruch strich in Schwaden durch den Raum.
Veit schlug die Tür zu.
»Tot«, sagte er gepresst.
»Wer?« fragte Idusch.
»Die Tiere. Alle.«
»Ach so!«
Idusch folgte schleppenden Schrittes der traurigen Kavalkade, die seine Frau in ein leeres Zimmer brachte.
Anna fror. Sie glaubte beim Erwachen jeden einzelnen Wirbel des Rückgrats zu spüren. Ihre Augen schmerzten. Es dauerte lange, ehe sie begriff, wo sie war. Benommen zog sie sich hoch, stellte den Hocker wieder hin und setzte sich.
Dann sah sie das Buch.
Mit vorgestrecktem Kopf lauschte sie. Stille. Veit, Veit! wollte sie schreien, aber über ihre spröden Lippen kam kein Ton.
Veit – ihr Veit. Wo mochte er stecken? Ob er sich wieder bei seinem neuen Vertrauten, dem Professor, ausweinte? Idusch! Er war der Dorn in ihrem Dasein. Er musste Veit die wahnwitzige Idee suggeriert haben.
Der kleinste Denkvorgang schmerzte sie. Ihre Kehle schien wie ausgedörrt. Anna neigte sich vorsichtig zur Seite, zog die Tür des Kühlschranks auf und griff nach der Milchtüte. Gierig trank sie und ließ die Tüte dann fallen.
So hart es war, sie musste sich von Veit trennen, ehe auch sie noch verrückt wurde. Ob Veit ihr die Wohnung überlassen würde? Früher hätte er das bestimmt gemacht. Fair war er immer gewesen. Aber ihr Leben mit ihm war bereits Vergangenheit, das wusste sie.
Wütend stieß sie mit einem Fußtritt das Buch in die Ecke. Wem konnte sie in dieser verfahrenen Situation vertrauen? Laue, Menz?
Sie stand auf, hockte sich im Wohnzimmer neben dem Telefon auf den Boden und wählte die Nummer von Menz.
»Gerd«, sagte sie leise, »du, ich brauche deinen Rat.«
»Ärger mit dem Deinen?«
»Das ist noch
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