0160 - Zuletzt wimmern sie alle
mußte, daß ein Polizeifahrzeug gekommen war.
Ich stieg aus und ging ihm entgegen.
»Wer?« wollte er fragen, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
»Haben Sie meine Sirene gehört?«
»Sicher, aber…«
»Warum haben Sie mir die Kreuzung nicht frei gemacht?«
»Hab’ ich doch, nur…«
»Was nur?«
»Sie meinen den Wagen, der noch vor Ihnen über die Kreuzung fuhr? Das war der Wagen von Senator McSteillen.«
Ich sah, daß sich bereits eine Anzahl von neugierigen Gaffern rings um uns versammelte.
»Sie werden sich noch heute abend im FBI-Gebäude melden«, sagte ich leise. »Mein Name ist Cotton.«
Er schluckte, als er FBI hörte.
»Sir«, sagte er verlegen, »ich konnte doch Senator…«
»Sie brauchen gar nichts«, sagte ich. »In unserem Land gelten Gesetze auch für Senatoren. Ich werde die Anzeige gegen den Senator schreiben. Und Sie werden als Zeuge gegenzeichnen. Machen Sie mir jetzt die Straße frei, damit ich weiterfahren kann. Oder glauben Sie, ich rase zum Jux durch die Gegend und riskiere mein und anderer Leute Leben, nur weil ein größenwahnsinniger Senator New York unsicher macht?«
Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging zu meinem Jaguar zurück. Ein paar Leute klatschten Beifall. Ich konnte es ihnen nicht verargen. Kein Amerikaner wird Verständnis dafür haben, wenn seine führenden Politiker sich im Verkehr wie Rowdys benehmen.
»Es soll ein Senator gewesen sein?« fragte der Junge, als ich wieder in den Wagen stieg.
»Anscheinend ja.«
»Da kann man nichts machen, was?«
Ich manövrierte mich vorsichtig wieder in die richtige Fahrbahn.
»Das wollen wir erst mal sehen«, sagte ich. »Die Anzeige werde ich schreiben. Und ich möchte den sehen, der eine FBI-Anzeige einfach unter den Tisch fallen läßt.«
***
Ein paar Minuten später bog ich aus der 66sten Straße in die West End Avenue nach Süden ein. Hinter dem De Witt Clinton Park ging es nach rechts in die 52ste Straße.
Inzwischen war es kurz nach sieben geworden. Die Rushhour, die Zeit des dicksten Verkehrs, war vorbei, denn die Büros und Geschäfte hatten längst geschlossen, aber noch immer herrschte ein stärkerer Verkehr als sonst.
Erst beim vorletzten Haus sagte der Junge: »Da wohnt sie. Unterm Dach.«
»Dann wollen wir mal raufgehen und nach dem Rechten sehen«, sagte ich.
Er erwiderte nichts. Wir stiegen aus. Ich schlug die Türen zu, und wir überquerten die Straße.
Es war ein Wohnhaus, wie man Tausende seiner Art in New York sehen kann. Gebaut um die Jahrhundertwende, wies seine Fassade noch allerlei von dem überflüssigen Krempel auf, den man damals für schön hielt. Hervorspringende Schnörkel, Gesimse und imitierte Miniaturgiebel.
Wir stiegen ein paar Stufen hinauf und betraten einen engbrüstigen Hausflur, in dem es nach Küchengerüchen duftete. Irgendwo wurden Bratkartoffeln mit Speck zubereitet. Ich spürte, daß mein Magen seit Mittag nichts mehr bekommen hatte.
Weiter hinten teilte sich der Flur. Die eine Hälfte führte in einem rechten Winkel nach links, die andere nach hinten zu einer Tür, die wahrscheinlich in den Hof führte. Ganz rechts setzte die Treppe an, die hinauf in die oberen Stockwerke leitete.
Ich suchte vergeblich einen Lift. Seufzend gab ich es auf und begann, die Stufen der ausgetretenen Treppe zu erklimmen.
Ein echter New Yorker ist Fahrstühle gewöhnt. Ich war es. Und hier gab es elf Stockwerke, und im obersten wohnte Raila Sheers. Vielleicht können Sie sich vorstellen, daß mir dieser Ausflug immer mehr zuwider wurde.
Endlich hatten wir das oberste Ende der Treppe erreicht. Sie mündete in eine Art kurze Galerie. Vier Türen führten von hier aus ab. Die äußerste rechts schien die Bodentür zu sein, denn an ihr klebte ein gedruckter Zettel mit der dicken Überschrift: Bodenbenutzung. Die zweite Tür von rechts stand einen Spalt offen, aber man konnte nichts durch den Spalt sehen, denn im Zimmer dahinter war es dunkel.
Unter den beiden anderen Türen auf der linken Seite schimmerte Licht durch. Ich sah den Jungen fragend an.
Er zuckte die Achseln.
»Ich bin noch nie hiergewesen«, sagte er leise. »Ich weiß nicht, welche Tür.«
Einen Augenblick zögerte ich, dann klopfte ich kurz entschlossen an einer der beiden linken Türen. Eine rauhe Männerstimme rief: »Wer ist denn da?«
Ich hütete mich, meinen Namen oder gar meinen Beruf auszuposaunen. Ich sagte nur: »Können Sie mir sagen, wo Miß Sheers wohnt?«
»Links von der Bodentür!« sagte mein
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