0162 - Londons Pflaster ist heiß
man wird nicht dadurch Mitglied einer Gang, dass man die Anordnungen des Chefs nicht befolgt. Man löst auch keine Aufgabe dadurch, dass man sorgfältig vermeidet, mit dem Gegner in Berührung zu kommen.
Es war nicht weit bis zum Wirrington Klub. Die Straßen waren wie ausgestorben, aber hinter den Mauern der dunklen Häuser wisperte es wie von geheimen Leben. Na ja, England ist nun einmal das Land der Gespenster.
Zwei sehr reale Polizisten begegneten mir und drehten misstrauisch die Köpfe mit den komischen Helmen, aber sie hielten mich nicht an.
Als ich die Straße erreichte, in der Cleans Nachtlokal lag, ging ich vorsichtiger, hielt mich enger im Schatten der Häuser und bemühte mich, meinen Augen die Eigenschaften von Katzenaugen zu verleihen. Ich hielt es für denkbar, dass Nollan seinen Leuten befohlen hatte, mich in der Nähe des Wirrington Klub umzulegen, um dann die Tat auf irgendeine, für mich nicht erkennbare Weise Clean in die Schuhe zu schieben.
Aber es geschah nichts. Ich erreichte den Klubeingang unangefochten. Er war unbeleuchtet, und ich erwartete, dass die Tür fest verschlossen sei. Zu meiner Überraschung stellte sich heraus, dass sie einen Spalt offen stand.
Ich stieß sie mit dem Fuß auf, blieb aber in der Deckung der Mauer und schob vorsichtig die Nase vor. Dunkel lag die Garderobe vor mir. Nur ganz in der Ferne schimmerte etwas wie Licht. Sehr langsam, Schritt für Schritt, drückte ich mich in den Eingang, hielt mich eng an der Wand und schob mich in Richtung auf das Licht vor.
Ich erreichte das eigentliche Lokal, und jetzt erkannte ich, dass das Licht aus einer halb geöffneten Tür jenseits der Tanzfläche schimmerte. Ich wusste, hinter dieser Tür lag Anthony Cleans Büro. Ich ging auf die Tür zu, und als ich nahe genug heran war, rief ich Cleans Namen.
Ich bekam keine Antwort, tat die letzten vier oder fünf Schritte und stieß die Tür auf.
Der Raum schien leer zu sein. Nichts schien verändert oder ungewöhnlich, aber dann fiel mein Blick auf das Telefon. Der Hörer lag nicht auf der Gabel, sondern hing an der Schnur seitlich am Schreibtisch herunter. Er baumelte gerade ein paar Zoll über der verkrampften Hand, von der noch das Gelenk und die Manschetten des Hemdes hinter dem Schreibtisch hervorragten.
Ich weiß nicht, ob ich leise durch die Zähne pfiff. Jedenfalls dauerte es ein paar Sekunden, bevor ich mich in Bewegung setzte, den Raum durchquerte.
Tja, da lag nun der alte Anthony Clean in seinem Anzug. Halb zur Seite gekrümmt lag er auf dem Rücken. Die Jacke stand offen. Das weiße Hemd zeigte zwei oder drei rote Flächen, die ineinanderzulaufen begannen.
Die Pistole, mit der man es ihm besorgt hatte, lag nicht weit entfernt neben den Stuhlbeinen des zurückgeschobenen Schreibtischsessels, und das war ein verdammt merkwürdiger Platz für eine Mordwaffe, mit der jemand nicht in den Rücken, sondern in die Brust geschossen worden war.
Es stand für mich außer Frage, dass James Nollan gewusst hatte, dass ich einen toten Anthony Clean antreffen würde. Aber aus welchem Grund schickte er mich zu ihm? Wollte er mir zeigen, dass er seine New Yorker Methoden noch nicht verlernt hatte? Oder wollte er mir diesen Mord in die Schuhe schieben? Dazu musste er mich an der Leiche verhaften lassen, aber dann musste er auch auf irgendeine plausible Weise die Polizei alarmieren. Ich konnte mir nicht denken, wie er…
Das Geräusch eiliger Schritte riss mich aus meinen Gedanken. Schwere Schuhe stampften über das Parkett der Tanzfläche.
Wie immer es Nollan angestellt hatte, die Polizei im richtigen Augenblick zu alarmieren, jetzt jedenfalls war sie da.
Ganz instinktiv bückte ich mich und nahm die Pistole auf. Es war eine schwere Waffe. Auf dem Lauf war ein Schalldämpfer aufgesetzt. Der Raum war nur vom Licht der Schreibtischlampe erhellt. Ich drückte den Knopf, und es wurde dunkel.
»Das Licht!«, sagte eine Männerstimme jenseits der Tür.
»Hab’s gesehen«, antwortete der andere. »Der Kerl scheint noch dort zu stecken.«
Ich fluchte lautlos vor mich hin. Das war eine scheußliche Verlegenheit, in der ich steckte. Klar, dass ich nicht auf die Beamten schießen konnte. Aber wenn ich stillhielt und mich verhaften ließ, so würde es mir verdammt schwerfallen, ihnen oder sonst irgendwem klar zu machen, dass ich mit diesem Mord nichts zu tun hatte. Natürlich konnte ich mich im äußersten Notfall als G-man zu erkennen geben, und mein New Yorker Chef würde mich
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