0163 - Der Hexenhenker
sich hocherfreut.
»Monsieur Professor Zamorra!« rief sie aus.
Der Professor mochte es nicht sonderlich, wenn man die französische Sprache so verbog. Aber er verzieh es der dicken Wirtin.
»Nur Professor«, belehrte er sehr freundlich, »ohne das Monsieur.«
»Mrs. Coldwater!« stellte sich die Wirtin vor und reichte Zamorra die Rechte.
Der Professor ergriff sie. Im nächsten Moment hatte er das Gefühl, seine Hand wäre in einen Schraubstock geraten. Die Wirtin hatte Bärenkräfte.
Zamorra registrierte es und drückte zurück. In den kleinen Augen der fetten Wirtin blitzte es anerkennend. Zamorra hatte jetzt schon ihr Herz gewonnen.
Endlich kletterte auch Nicole Duval aus dem Wagen. Mrs. Coldwater blickte ahnungslos zu ihr hin. Dann zuckte sie zusammen wie unter einem Peitschenhieb.
»Guten Morgen«, sagte Nicole und lächelte gewinnend.
»Lydia!« ächzte Mrs. Coldwater. »Lydia Manshold!«
»Wie bitte?« Zamorras Blick ging zwischen den Frauen hin und her.
Nicole drückte den Wagenschlag zu und umrundete das Fahrzeug. Zamorra fand die Jeans viel zu eng. Außerdem schien Nicole mit den unbequemen, weil zu hochhackigen Schuhen Schwierigkeiten zu haben.
Ihr Lächeln wirkte jetzt seltsam entrückt.
»Freut mich, Mrs. Coldwater.«
Der Professor hatte einen schlimmen Verdacht. Er schalt sich einen Narren. Warum hatte er es versäumt, sich schon am Telefon das Mädchen Lydia Manshold beschreiben zu lassen? Aber es hatte keinerlei Anlaß dazu bestanden.
Nicole in der Maske der Lydia? Das konnte kein Zufall sein.
Zamorra drängte die Gedanken daran beiseite. Egal, wie Nicole dazu gekommen war. Es galt, die Situation auszunutzen. »Ist Mr. Withe auch da?«
Mrs. Coldwater deutete mit dem Daumen an der Hausfassade empor. Zamorras Blick heftete sich auf ein Fenster im dritten Stock.
»Da oben?«
Mrs. Coldwater war anscheinend so fasziniert von Nicole, daß sie nicht mehr die Augen von ihr lassen konnte.
Das bezeichnete Fenster wurde geöffnet. James Withe streckte den Kopf heraus. Er wirkte verschlafen. Wahrscheinlich hatte er in der Nacht kaum ein Auge zugetan.
Und da sah er Nicole.
»Lydia!« brüllte er mit überschlagender Stimme. »Lydia!«
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde James Withe aus dem Fenster stürzen. Da zog er sich blitzschnell zurück.
Nicole wurde plötzlich ernst.
»Mrs. Coldwater«, sagte sie vorsichtig, »ich bin nicht Lydia Manshold, sondern Nicole Duval. Daß ich keine Engländerin sein kann, hören Sie schon an meinem französischen Akzent.«
Mrs. Coldwater blinzelte verwirrt. Sie schüttelte den Kopf.
»Aber, das ist doch unmöglich. Diese Ähnlichkeit kann doch kein Zufall sein.«
»Ist sie auch nicht!« Nicole spähte an der Wirtin vorbei in die Schankistube. Gerade polterte James Withe wie ein Wahnsinniger die hölzerne Treppe herunter. Aber er war noch nicht in Sicht. Man hörte ihn nur.
»Es kam ganz plötzlich über mich. Château de Montagne ist gegen Schwarze Magie abgeschirmt. Sie hat dort keinen Zutritt. Trotzdem spürte ich den Zwang, wie Lydia Manshold auszusehen. Ich sah ihr Bild vor mir, wenn ich in den Spiegel blickte. Es war sehr leicht, mich dagegen zur Wehr zu setzen, aber das wollte ich gar nicht. Ich folgte dem leichten Zwang, und das Ergebnis sehen Sie vor sich. Ich ändere gern meinen Typ, habe also Übung darin - und genügend Perücken. Meine Haare haben in Wirklichkeit eine andere Farbe. Sie sind…« Nicole Duval brach an dieser Stelle ab.
Schade, dachte Professor Zamorra und blickte James Withe entgegen, der durch die Schankstube stürmte. Sein Gesicht war unnatürlich blaß, und seine Augen glänzten wie im Fieber.
Als er die Schankstube verließ, mußte ihn Zamorra auffangen, sonst wäre er hingefallen. James Withè zitterte wie Espenlaub. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.
Das war mehr als nur die Folge einer schlechten Nacht.
»Lydia«, stöhnte er, »du lebst noch.«
Sein fiebriger Blick richtete sich auf Zamorra.
»Und das - das ist der Professor? Er -er hat dich befreit. Ich bin ja so froh. Jetzt wird alles gut. Und - und ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Professor. Ich war von vornherein gegen Sie, weil ich Angst hatte, Sie würden mich umbringen, um dadurch die Gefahr zu bannen. Schließlich bin ich an allem schuld. Ja, ich war Ihr Gegner. Jetzt ist das alles anders. Sie haben mir bewiesen, zu was Sie fähig sind.«
Zamorra hatte einen gerechten Zorn auf Nicole, weil sie ihm nichts gesagt hatte. Aber das
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