0163 - Der Hexenhenker
Festlichkeiten stattfinden. Es diente nur dazu, bei Bedarf die beengte Räumlichkeit der Schankstube zu erweitern. Es roch ungelüftet, aber die Wirtin machte keine Anstalten, ein Fenster zu öffnen.
»Es begann irgendwann im Mittelalter«, sagte sie heiser, während sie ihre Körpermasse auf einen beängstigend knarrenden Stuhl plazierte. »Die genaue Jahreszahl ist mir nicht bekannt. Auch weiß ich den Namen des Henkers nicht. Doch das spielt praktisch keine Rolle. Der Henker wohnte hier in Bloodstone. Der Ort war für viele Jahre das Zentrum der Gerichtbarkeit. Eine Art Zentralgefängnis befand sich hier. Die Hinrichtungen wurden sämtlich auf dem Marktplatz durchgeführt. Sie kennen ihn ja schon. Kriminelle, nicht nur von dieser Grafschaft, sondern auch von benachbarten Fürstentümern, wurden hergebracht, um hier ihrer gerechten Strafe entgegenzusehen. Doch darunter waren leider nicht nur Kriminelle. Im Laufe der Zeit wurde deutlich, daß auch Menschen zum Schafott geführt wurden, die den Fürsten einfach nur im Weg waren, indem sie eine andere Meinung vertraten oder auch nur Vermögen besaßen, das die Fürsten viel lieber in der eigenen Kasse sahen.«
Die fette Wirtin machte eine kurze Atempause. Zamorra ließ sie gewähren. Er hörte zu und unterbrach die Erzählung nicht durch Zwischenfragen.
»Die Inquisition etablierte sich in Bloodstone. Überall wurden sogenannte Heilige Häuser errichtet, in denen die unglücklichen Frauen bis zum Geständnis gefoltert wurden. Der Henker von Bloodstone wurde zum Hexenhenker. Niemand weiß, wieviel Menschen er gemordet hat. Es müssen Hunderte gewesen sein. Falls es eine junge Frau wagte, sich den Zudringlichkeiten eines Adligen oder Reichen zu widersetzen, wurde sie automatisch zur Hexe gestempelt. Aber Sie kennen ja die Inquisition des Mittelalters besser als ich. Es wäre müßig, mehr darüber zu sagen.
Jedenfalls hieß eines der Opfer Ellen Sanders. Sie war die Tochter des Bäckermeisters, eines sehr angesehenen Mannes in Bloodstone. Der Sohn des Lords von Ingham begehrte sie und machte ihr den Hof. Wegen des gesellschaftlichen Unterschieds blühte die Liebe im Verborgenen. Das konnte natürlich nicht gutgehen. Die stolze Ellen fühlte sich als Mätresse, denn ihr wurde mehr und mehr klar, daß sie der Lordsohn niemals zur Frau nehmen würde. Sie drohte ihm, das Verhältnis zu kündigen, falls er sich nicht endlich für sie entschied. Ellen Sanders wollte, daß ihre Liebe offiziell wurde.
Der Lordsohn fürchtete einen Skandal und hielt Ellen immer wieder hin. Da machte sie ihre Drohung wahr. Der Lordsohn hatte keine Chancen mehr bei ihr. In seiner Verzweiflung, denn er liebte Ellen wirklich, erzählte er seinem Vater davon. Dieser war äußerst betroffen. Für den als bärbeißig und rücksichtslos bekannten Lord von Ingham war es unmöglich, daß eine. Bürgerliche seinen Sohn verschmähte. Persönlich kam er nach Bloodstone und suchte die Tochter des Bäckermeisters auf. Niemand wurde Zeuge des Gesprächs zwischen den beiden. Aber es kam zum gewaltigen Streit. Der Lord von Ingham ließ das Mädchen gewaltsam auf sein Schloß bringen. Sie sollte seinem Sohn Abbitte tun, um damit seinen guten Ruf wiederherzustellen. Das war jedenfalls die Absicht des brutalen Lords. Aber durch die Ereignisse kam die Geschichte ans Tageslicht. Ellen Sanders, enttäuscht und gedemütigt, lehnte jetzt den Lordsohn endgültig ab. Da nutzte auch die schlimmste Drohung nichts. Auf das Drängen des Lordsohns hin ließ sie der Lord frei. Zu Fuß kehrte sie nach Bloodstone zurück. Von den Bürgern der Stadt wurde sie als gemeine Hexe beschimpft, die den Lordsohn verhext hätte.
Wochen vergingen, in denen sich Ellen Sanders einschließen mußte, weil sie die Rache der Bürger von Bloodstone fürchtete. Da tauchte der Lordsohn wieder auf. Er war allein und wollte Ellen sprechen. Der Bäckermeister ließ ihn zu seiner Tochter. Er hoffte wohl, daß die Geschichte jetzt doch zu einem guten Abschluß kommen würde.
Der Lordsohn machte Ellen Sanders ein großzügiges Angebot. Ellen durfte als Zofe zum Schloß kommen. Eine Heirat war zwar ausgeschlossen, aber die beiden hatten dann zusammen sein können. Später, so versprach er, wenn der Vater nichts mehr zu sagen hatte und er selbst Lord von Ingham war, wäre vielleicht eine Heirat möglich.
Die Heirat zwischen einem Lord und einer Zofe? Ellen Sanders wußte genau, was sie von einer solchen Versprechung halten konnte. Sie beschimpfte den
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