017 - Der Engel des Schreckens
als sie sich erst von dem Schreck erholt hatte, eine solche Riesensumme in ihrem Besitz zu haben, hatte sie ein Taxi genommen und sich eine wahre Orgie von Einkäufen geleistet.
Als Mr. Rennett ihr mitteilte, er werde ihre Angelegenheiten regeln, werde die Schulden bezahlen, die sie drei Jahre hindurch so gedrückt hatten, hatte sie das Gefühl, als ob eine Zentnerlast von ihrem Herzen genommen wäre.
In einem ihrer neuen Kleider, die ihr ein ganz besonderes Selbstbewußtsein verliehen, erschien sie bei Mrs. Cole-Mortimer. Sie hatte erwartet, eine größere Gesellschaft in dem Haus in Hyde Park Crescent zu finden, und war überrascht, im Salon nur vier Personen zu sehen.
Mrs. Cole-Mortimer war eine blasse, kleine Dame in den Vierzigern. Sie kam Lydia mit ausgestreckten Händen entgegen.
»Meine Liebe«, begann sie mit übertriebener Freude. »Ich bin wirklich froh, daß Sie kommen konnten. Sie kennen doch Miss Briggerland und Mr. Briggerland?«
Lydia blickte zu dem großen Mann empor und erkannte in ihm sofort den Herrn, den sie am Abend vor der Hochzeit im Theater gesehen hatte.
»Mr. Marcus Stepney haben Sie wohl noch nicht kennengelernt?«
Vor Lydia verbeugte sich ein tadellos gekleideter junger Mann. Er war ungefähr dreißig Jahre alt und hatte ein hübsches Gesicht, sah aber für Lydias Geschmack ein wenig zu »neu« aus. Sie konnte Modegecken nicht ausstehen, und wenn der Kritiker auch nicht einen einzigen Fehler in Mr. Stepneys Kleidung gefunden hätte, so machte er auf sie doch den Eindruck übertriebener Eleganz.
Lydia hatte nicht erwartet, mit Miss Briggerland und Vater zusammenzutreffen, obwohl sie sich undeutlich erinnerte, daß Mrs. Cole-Mortimer ihren Namen erwähnt hatte. Und jetzt mußte sie plötzlich an Jacks Warnungen denken, die sie verlacht hatte. Sie war etwas befangen, und Jean Briggerland, deren Feinfühligkeit in solchen Dingen beinahe unheimlich war, mußte ihre Gedanken gelesen haben.
»Mrs. Meredith wußte doch, daß wir hiersein würden, Margaret?« wandte sie sich der Dame des Hauses zu. »Du hast ihr doch sicher erzählt, wie gute Freunde wir sind?«
»Aber natürlich, Liebste. Wenn ich deinen Vetter und seinen Vater kannte, wäre es doch merkwürdig, wenn ich den Rest der Familie nicht kennen sollte«, und sie bedachte jeden der Anwesenden mit einem faden Lächeln.
Natürlich, so war es. Lydia kam sich lächerlich vor. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, und Jack Glover wahrscheinlich auch nicht, daß die Briggerlands und Merediths miteinander verwandt waren.
Sie saß mit dem jungen Mädchen in einer Ecke des Salons und studierte Jeans Gesicht von neuem. Die Prüfung bekräftigte nur ihr erstes Urteil, und sie mußte innerlich lachen, wenn sie an Jack Glovers lächerliche Warnungen dachte. Soviel Haß und Bitterkeit gegen dies zerbrechliche Stückchen feinen Porzellans erschien ihr wie der Versuch, einen Schmetterling mit einem Dampfhammer zu töten.
»Und wie fühlen Sie sich jetzt in Ihrem Überfluß?« fragte Jean freundlich.
»Ich habe mich noch gar nicht daran gewöhnt«, lächelte Lydia.
Jean nickte.
»Sie haben wohl noch viel Schwierigkeiten mit den Anwälten? Welche Firma ist es denn? Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Mr. Glover war ja Jims Rechtsanwalt.« Sie seufzte. »Ich kann Anwälte nicht ausstehen; sie sind so schrecklich väterlich, bilden sich ein, daß sie und nur sie allein befähigt sind, Leben und Taten ihrer Mitmenschen zu leiten. Ich glaube, das ist den Herren Juristen schon zur zweiten Natur geworden. Und dann verdienen sie auch eine schreckliche Menge Geld mit ihren Honoraren, Kommissionen und Gebühren, obgleich ich überzeugt bin, daß Jack Glover daran am wenigsten denkt. Er ist wirklich ein netter Mensch«, sagte sie nachdrücklich, »und ich bin sicher, Sie können keinen besseren Freund finden.«
Lydia war von der Großmut des jungen Mädchens entzückt, das von diesem Mann in so abscheulicher Weise verleumdet worden war.
»Er war sehr gut zu mir, obgleich er etwas zu - ängstlich ist.«
Jeans Lippen verzogen sich zu einem belustigten Lächeln. »Hat er Sie vor mir gewarnt?« fragte sie feierlich. »Hat er Ihnen erzählt, welch ein Menschenfresser ich bin? Manchmal denke ich wirklich, der arme Jack ist ein bißchen - verrückt möchte ich nicht sagen - merkwürdig. Seine Abneigungen gegen diesen oder jenen Menschen sind oft ebenso heftig wie unberechtigt. Können Sie sich denken, daß er Margaret direkt verabscheut, obwohl ich
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