017 - Der Engel des Schreckens
klang vom oberen Stockwerk herunter. »Ja. Ich glaube, es war Marcus Stepney, der Sie zu sprechen wünschte. Ich habe ihm gesagt, Sie seien schon ausgegangen, oder wollten Sie ihn vielleicht sprechen?«
»Um Gottes willen, nein!« rief Lydia. »Und Sie wollen wirklich nicht mit mir kommen?«
»Ich möchte lieber zu Hause bleiben«, sagte Jean wahrheitsgemäß.
Der Wagen stand vor der Tür, und Mordon, der in seinem hellen Staubmantel sehr gut aussah, öffnete den Schlag. »Wie lange wird es wohl dauern?« fragte Lydia. »Ungefähr zwei Stunden, Liebste, und Sie werden hungrig sein, wenn Sie zurückkommen«, rief Jean und küßte sie.
»Vergessen Sie nicht, an den richtigen Mann zu denken«, und sie drohte mit dem Finger.
»Jetzt fange ich selbst an, neugierig zu werden«, antwortete Lydia.
Jean blickte hinter dem Auto her, bis es um die Ecke gebogen war, und ging dann in den Salon. Kaum hatte sie Platz genommen, als das Telefon schon wieder läutete.
»Mrs. Meredith ist nicht nach Monte Carlo gefahren«, sagte dieselbe Stimme. »Ihr Wagen ist nicht auf der Straße gesehen worden.«
»Ist dort Mr. Jaggs?« fragte Jean freundlich.
»Ja, Miss.«
»Mrs. Meredith ist schon wieder zurück. Es tut mir wirklich leid, aber ich dachte, sie sei nach Monte Carlo gefahren. Mrs. Meredith ist auf ihrem Zimmer - sie hat sehr starke Kopfschmerzen. Wollen Sie nicht hierherkommen und mir ihr sprechen?«
Ein kurzes Schweigen und dann: »Ja, ich komme sofort.«
Zwanzig Minuten später stieg der alte Mann vor der Tür aus einem Taxi, und das Mädchen, das ihm die Tür geöffnet hatte, führte ihn in den Salon.
Jean stand auf und blickte auf die gebeugte Gestalt, die ihr gegenüberstand; sah sie prüfend an, von dem grauen Haar bis hinunter zu den staubigen Schuhen. Dann wies sie auf einen Stuhl.
»Nehmen Sie Platz«, forderte sie ihn auf, und der alte Jaggs gehorchte. »Sie haben, wie ich annehme, Mrs. Meredith etwas mitzuteilen.«
»Det möchte ick ihr lieber selber erzählen«, sagte der alte Mann grob.
»Gut, bevor Sie ihr aber überhaupt etwas erzählen, muß ich Ihnen ein Geständnis machen.« Sie lächelte den alten Jaggs an und ließ sich in aller Ruhe gemächlich auf einen Stuhl ihm gegenüber nieder.
Er saß mit dem Rücken gegen das Fenster und drehte seinen zerbeulten Hut in den Händen.
»Ich habe Sie nämlich unter falschen Vorspiegelungen hierhergebracht«, begann Jean, »Mrs. Meredith ist nicht hier.«
»Nicht hier?« fuhr er auf.
»Nein, sie ist mit unserem Chauffeur unterwegs. Aber ich hätte Sie gern gesprochen, Mr. Jaggs, weil -« sie stockte. »Ich weiß, daß Sie ein sehr guter Freund von Madame Meredith sind und nur ihr Interesse im Auge haben. Ich kenne Sie ja nicht weiter«, sie schüttelte den Kopf, »habe aber erfahren, daß Mr. Jack Glover Sie engagiert hat.«
»Wat soll det alles bedeuten?« fragte er rauh. »Wat ham Se mir zu erzählen?«
»Ich weiß wirklich nicht, wie ich beginnen soll.« Sie biß sich auf die Lippen. »Es ist eine so peinliche Angelegenheit, daß ich am liebsten überhaupt nicht darüber sprechen möchte. Aber das Verhalten Mrs. Merediths unserem Chauffeur Mordon gegenüber ist wirklich unpassend, und meiner Meinung nach müßte das Mr. Glover mitgeteilt werden.« Er antwortete nicht, und sie fuhr fort: »So etwas kommt ja vor, ich weiß das sehr gut, aber glücklicherweise habe ich das noch nie miterleben müssen, und dann - Mordon ist ja ein sehr gut aussehender Mensch - und sie ist so jung ...«
»Wovon reden Sie denn eigentlich?« Seine Stimme klang scharf und befehlend.
»Ich befürchte, die arme Lydia hat sich in Mordon verliebt.« Er sprang auf.
»Verdammter Schwindel!« rief er, und sie starrte ihn mit großen Augen an. »Jetzt erzählen Sie mir, wo Lydia Meredith steckt, und merken Sie sich das eine, Jean Briggerland: Ist auch nur ein Haar auf dem Kopfe des jungen Mädchens gekrümmt, dann werde ich beendigen, was ich da draußen begonnen habe«, er wies auf den Garten, »und erwürge Sie mit meinen eigenen Händen.«
Jean blickte ihn verstohlen an und begann an allen Gliedern zu zittern. Plötzlich wandte sie sich um, flog die Treppe hinauf in ihr Zimmer, verschloß die Tür und lehnte sich blaß und schwankend gegen sie. Zum zweitenmal in ihrem Leben lernte Jean Briggerland Furcht kennen.
Dann hörte sie die schnellen Schritte des Mannes auf dem Gang; er klopfte an die Tür. »Machen Sie auf!«
Für einen Augenblick verlor Jean beinahe ihre
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