017 - Der Engel des Schreckens
hatte. Jean sah sich die Verzierungen der Waffe an, den silbernen Beschlag, den geschnitzten Kolben aus Elfenbein. »Das hier kann ich dir heute nicht mehr anvertrauen.« Sie sah ihm lächelnd in die Augen.
»Gute Nacht, Francois.« Mordon beugte sich über ihre Hand und küßte sie.
»Gute Nacht, Jean«, sagte er mit zitternder Stimme. Einen Augenblick ruhten ihre Augen ineinander, dann wandte sie sich ab, als ob sie sich selbst nicht mehr beherrschen könnte, und folgte ihrem Vater.
Zwischen Garage und Villa blieb Jean einen Moment stehen.
»Nimm ihn in Verwahrung.« Es war Francois Revolver. »Wahrscheinlich ist er geladen. Ich glaube, ich habe auf dem Kolben in Silber eingelegte Initialen gesehen. Wie ich Francois Mordon kenne, sind das die seinen.«
»Was soll ich damit anfangen?« fragte er und steckte die Waffe in die Tasche.
Sie lachte.
»Wenn du zu Bett gehst, komm bitte erst in mein Zimmer. Ich habe dir eine ganze Menge zu erzählen.« Dann ging sie in den Salon und unterbrach Mrs. Cole-Mortimer, die einer gelangweilten Lydia Unterricht in Bridge erteilte.
»Wo waren Sie denn, Jean?« Lydia legte die Karten auf den Tisch.
»Ich habe eine Überraschung für Sie vorbereitet, bin aber nicht ganz sicher, ob sie wirklich so interessant sein wird - das hängt nämlich ganz davon ab, ob Ihr junges Herz noch frei ist oder nicht.«
Jean setzte sich zu ihnen.
»Mein junges Herz«, lachte Lydia, »ist vor allen Dingen äußerst gesund. Was ist denn das für eine Überraschung?«
»Sind Sie verliebt?« fragte Jean sie herausfordernd und suchte in einem Handarbeitskörbchen nach einer kleinen Näherei.
»Verliebt - um Gottes willen, nein.«
»Um so besser«, nickte Jean, »dann wird die Überraschung um so reizvoller sein.« Es dauerte einige Augenblicke, bis sie den Faden eingefädelt hatte; dann fuhr sie fort: »Wenn Sie wirklich nicht verliebt sind und setzen sich auf die Liebesbank, werden Sie den Namen Ihres zukünftigen Mannes kennenlernen. Sind Sie aber verliebt, ist die Sache natürlich nicht mehr so einfach.«
»Aber wenn ich nun den Namen meines zukünftigen Mannes gar nicht kennenlernen will?«
»Dann sind Sie ein ungewöhnliches Menschenkind.«
»Wo ist denn diese wunderbare Liebesbank?«
»Jenseits der Grenze, auf dem Wege nach San Remo. Du bist doch schon einmal dort gewesen, Margaret?«
»O ja«, entgegnete Mrs. Cole-Mortimer, die zwar noch nie weit aus Cap Martin herausgekommen war, aber niemals zugegeben hätte, irgend etwas Sehenswertes nicht gesehen zu haben.
»Auf dem Wege nach San Remo«, fuhr Jean fort, »auf einem wilden, unheimlichen Fleck - meilenweit von jeder menschlichen Behausung entfernt.«
»Wollen Sie mich dorthin begleiten?«
Jean schüttelte den Kopf.
»Das würde den Zauber brechen«, erklärte sie feierlich. »Nein, Liebste, wenn Sie eine richtige Sensation erleben wollen, und es ist wirklich der Mühe wen - die Gegend ist eine der wunderbarsten der ganzen Küste -, dann müssen Sie allein fahren.«
Lydia nickte. »Ich will es wagen. Es ist wohl zu weit, um zu laufen?«
»Viel zu weit. Mordon wird Sie hinfahren. Er kennt den Weg sehr gut, und die Strecke verlangt auch einen tüchtigen Fahrer. Wahrscheinlich werden Sie übrigens Vater in San Remo treffen - wolltest du nicht einen Motorradausflug machen, Vater?«
Mr. Briggerland atmete tief auf und nickte. Er fing langsam an zu verstehen.
Kapitel 34
Im Hafen von Monaco lag ein langes, weißes Boot, das den Namen »Jungle Queen« trug. Das Boot gehörte einem verarmten Engländer, der es vermietete und dadurch ein ganz gutes Einkommen hatte.
Mrs. Cole-Mortimer war überrascht, daß der Mietpreis der »Jungle Queen« für zwei Monate verhältnismäßig gering war; als sie nach ihrer Ankunft in Cap Martin das Boot gesehen hatte, wunderte sie sich nicht mehr.
Sie hatte sich eine große und bequeme Jacht vorgestellt und fand ein mittelgroßes Motorboot mit kleiner Kabine. Die Beschreibung des Agenten besagte, daß die »Jungle Queen« vier bequeme Schlafplätze habe. Wie vier Personen, falls sie nicht betäubt oder betrunken waren, in dem Fahrzeug schlafen sollten, war jedoch schwer verständlich. Normalerweise würden es schon zwei Menschen schwierig gefunden haben, in der Kabine ohne allzu große Unbequemlichkeiten zu schlafen.
Auch für Jean war die »Jungle Queen« eine Enttäuschung gewesen. Ihr geschäftiges Gehirn hatte schon einen wunderbaren Weg gefunden, die größte vor ihr liegende Schwierigkeit zu
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