017 - Der Engel des Schreckens
Kopf schüttelte, trank er selbst.
Lydia fühlte Schmerzen in der linken Schulter. Der Ärmel war zerrissen, und über den Oberarm lief eine häßliche Wunde.
»Das sieht ja wie ein Streifschuß aus«, sagte Marcus Stepney sehr ernst. »Und ich habe auch einen Schuß gehört - ist denn auf Sie geschossen worden?«
Sie nickte.
»Wer?«
»Lydia versuchte, ein Wort herauszubringen. Es war unmöglich. Sie verfiel in einen Weinkrampf.
»Doch nicht Jean?« fragte er gepreßt. Sie schüttelte den Kopf.
»Briggerland?«
Sie nickte.
»Briggerland!« Mr. Stepney pfiff vor sich hin, und Lydia schauerte zusammen. »Wollen machen, daß wir hier herauskommen, sonst ziehen wir uns beide die schönste Erkältung zu. Die Sonne da draußen wird uns schon warm machen.«
Marcus warf den Motor an und fuhr vorsichtig durch die Klippen in die offene See hinaus. Er mußte sehr weit fahren, bevor er die Straße auf der Höhe erkennen konnte. Dann sah er das Auto und einen Gendarmen, der vom Rad stieg und sich über etwas zu beugen schien. Marcus legte das Fernrohr weg und wandte sich dem jungen Mädchen zu.
»Eine faule Geschichte, Mrs. Meredith. Gott sei Dank, daß ich damit nichts zu tun habe.«
»Wo fahren Sie jetzt hin?«
»Erst mal weiter hinaus.« Marcus lächelte etwas. »Aber machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Meredith. Ich möchte hören, was Ihnen zugestoßen ist. Ist es so, wie ich befürchte, so halte ich es in Ihrem Interesse für besser, daß Briggerland Sie vorläufig für tot hält.«
Sie erzählte ihm alles, soweit sie es wußte, und er hörte zu, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen.
»Mordon tot! Sehr faul. Aber wie wollen Briggerlands das alles erklären? Sagen Sie mal«, fügte er lächelnd hinzu, »Sie haben doch wohl nicht einen Brief geschrieben, daß Sie mit Mordon durchgehen wollten?«
Bei diesen Worten fuhr sie hoch.
»Ja, ich habe einen Brief geschrieben«, antwortete sie langsam. »Es war aber kein wirklicher Brief; er kam in einem Roman vor, den Jean mir diktierte.« Sie schloß die Augen. »Wie furchtbar - ich kann es auch jetzt noch nicht glauben.«
»Was war das für ein Roman?« fragte Marcus schnell.
»Eine Geschichte, die sie für ein Londoner Magazin schrieb; sie hatte Schreibkrampf, und ich schrieb für sie nach ihrem Diktat. Es waren ja nur drei oder vier Seiten, aber eine von diesen enthielt einen Brief der Heldin, in dem sie sagte, daß sie verschwinden müsse, weil sie jemand unter ihrem Stande liebe.«
»Allmächtiger!« Marcus war ehrlich entsetzt. »Das hat Jean fertigbekommen?«
Er schien so bestürzt über das Gehörte, daß er lange Zeit kein Wort sagte.
»Ich bin froh, daß ich das weiß.«
»Glauben Sie wirklich, daß Jean die ganze Zeit hindurch versucht hat, mich - umzubringen?« fragte Lydia.
Er nickte.
»Sie hat jeden dazu gebrauchen wollen, sogar mich«, antwortete er bitter. »Ich möchte nicht, daß Sie zu schlecht von mir denken, Mrs. Meredith, aber ich werde Ihnen die Wahrheit erzählen. Der ›kleine gemeinsame Ausflug‹ den ich vorhatte, war als Zwölfhundert-Meilen-Fahrt geplant, und Sie sollten meine Begleiterin sein.«
»Ich?« fragte sie ungläubig.
»Es war ursprünglich Jeans Gedanke, obwohl ich glaube, daß sie zuletzt ihre Meinung geändert hatte oder dachte, ich hätte ihre Vorschläge vergessen. Ich wollte mit Ihnen auf das Meer hinausfahren und Sie dort so lange festhalten, bis Sie einstimmten -« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube doch nicht, daß ich es fertigbekommen hätte.« Er sprach halb zu sich selbst. »Für so einen richtigen Verschwörer fehlt mir noch die Hauptsache. Gott sei Dank habe ich nicht einmal den Versuch gemacht.«
»Nein, Mr. Stepney«, antwortete sie ruhig, »und ich glaube auch nicht, daß Sie Erfolg gehabt hätten.«
Marcus wurde offenherzig und überraschte sie wieder und wieder, als er ihr von seiner Lebensweise erzählte und dabei auch nicht den geringsten Versuch machte, sich zu entschuldigen oder seine Handlungen zu beschönigen.
»Das Wasser ging mir bis an den Hals, und ich glaubte, ich könnte auf diese Weise leicht zu Geld kommen; das reizte mich. Ich weiß, Sie halten mich für einen ehrlosen Menschen, aber wirklich, Mrs. Meredith, Sie können gar nicht zu schlecht von mir denken.«
Er blickte nach der Küste. Vor ihnen lief die grüne Zunge von Cap Martin in die See hinein.
»Ich glaube, es ist besser, ich bringe Sie nach Nizza. Dort verursachen wir weniger Aufsehen als hier, und vielleicht ist
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