0179 - Wir blufften um sein Leben
nach, daß ich jeden Menschen kenne, der hier zu Hause ist. Natürlich ist das übertrieben. Aber einige kenne ich schon. Sie sind nicht von hier, nein?«
Obgleich er eine sehr direkte Art hatte, nach irgend etwas zu fragen, wirkte er doch nicht aufdringlich. Vielleicht lag es an seinem Alter, an seinem Tonfall, an der Art, in der er spüren ließ, daß jeder Mensch für ihn von wirklichem Interesse war.
»Nein«, antwortete Ray. »Ich komme gerade aus New York.«
»Oh!« erwiderte der Pater staunend. »Aus New York! Mein ganzes Leben habe ich gehofft, ich würde einmal nach New York reisen können. Aber es war mir nicht vergönnt. Und jetzt ist es wohl schon zu spät dafür. Mit vierundachtzig Jahren kann man sich derart weite Reisen nicht mehr erlauben.«
»Vierundachtzig?« staunte nun Ray. »Ja. Aber deshalb brauchen Sie mich doch nicht gleich so anzusehen, Mister —«
»Connelli, Ray Connelli.«
»Aha, Mister Connelli. Nun, um beim Thema zu bleiben, ich habe herzlich wenig dazu getan, so alt zu werden. Eigentlich bin ich nur jeden Morgen, den Gott mich gesund erwachen ließ, aufgestanden. Das ist alles.« Pater Angelo blinzelte lustig aus seinen hellen Augen: »Wissen Sie, Mister Connelli, Gott ist manchmal sogar einem alten Sünder wie mir gegnüber sehr, sehr gnädig.«
Ray mußte unwillkürlich lachen. Eine Weile unterhielten sie sich über New York und über Sun City, über die Menschen und die Zeiten. Mit stiller Bewunderung bemerkte Ray, wie humorvoll und weise der Greis die Dinge zu betrachten wußte.
Als es halb zehn geworden war, sagte Ray:
»Ich würde mich sehr gern noch recht lange mit Ihnen unterhalten, Hochwürden, aber ich fürchte, es wird Zeit für mich. Ich muß nämlich noch einige Geschenke einkaufen, bevor ich meine Freunde aufsuche.«
Pater Angelo stand auf.
»Wenn es Ihnen nicht lästig fällt, kann ich Sie begleiten«, sagte er. »Sie sind hier fremd, aber ich weiß, wo man am preiswertesten einkaufen kann.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Zuerst muß ich Blumen kaufen.«
»Oh, da gehen wir zu Miss Jackson. Das ist ganz in der Nähe. Miss Jackson ist erst neunzehn Jahre alt, aber sie hat bereits ihre Eltern verloren. Sie versieht das Geschäft jetzt ganz allein, und Sie werden sehen, Mister Connelli, daß sie sehr tüchtig ist. Kommen Sie nur.«
Pater Angelo führte ihn durch ein paar Straßen, bis sie ein kleines Blumengeschäft erreicht hatten.
Miss Jackson stellte mit viel Geschick und sichtlicher Liebe zu ihrer Arbeit einen prächtigen Strauß schwarzroter Hosen und einen nicht minder hübschen Strauß von lichtrosa Nelken zusammen.
»Was brauchen Sie jetzt, Mister Connelli?« fragte der Pater.
»Am besten wäre es vielleicht, wir suchten ein Warenhaus auf«, meinte Ray. »Da ist die Auswahl größer, und man braucht nicht wegen jeder Kleinigkeit von einer Straße in die andere zu laufen.«
»Gut, wie Sie meinen. Dann gehen wir zu Morgan. Das ist gleich um die Ecke.«
Ray ließ seinen Koffer im Warenhaus gleich am Eingang beim Zigaretten- und Zigarrenstand sehen, nachdem ihm die Verkäuferin zugesichert hatte, daß sie auf das Gepäckstück achtgeben würde.
In der Abteilung für Arbeitskleidung kaufte Ray mit der kritischen Hilfe des Paters zwei schöne weiße Kittel.
»Aber man muß sie Umtauschen können, wenn sie nicht passen!« sagte Pater Angelo zu dem jungen Verkäufer.
»Selbstverständlich, Sir!« erwiderte der Angestellte.
In der Parfümerie schnupperten sie gemeinsam wohl an zwanzig Fläschchen, bis sie sich geeinigt hatten. Es schien nichts zu geben, das Pater Angelo nicht mit Hingabe und deutlicher Konzentration betrieb. Selbst bei der Auswahl eines Haarnetzes erkundigte sich der Greis erst gewissenhaft, ob es auch nicht zu schnell reißen würde.
Schließlich erstand Ray noch zwei große Schachteln Pralinen.
Pater Angelo blickte Ray zufrieden an. Sie nickten einträchtig. Am Ausgang ließ sich Ray seinen Koffer wiedergeben.
Als er das reichhaltige Angebot an Zigarren erblickte, murmelte er:
»Natürlich sollte ich auch den Hausherrn bedenken, nicht wahr?«
»Es könnte nicht schaden«, stimmte der Pater zu.
Ray verlangte ein Kästchen Zigarren. »Aber es müsesn wirklich gute Zigarren sein«, betonte er. »Sie sind für einen Freund, verstehen Sie?«
Die Frau hinter dem Stand sah auf die vielen Pakete, die Ray nun schon trug.
»Sie kommen auf Besuch, was?« meinte sie verständnisvoll. »Hier! Das ist die beste Sorte, die wir
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