0179 - Wir blufften um sein Leben
auf der Hochschule sein Ingenieur-Examen ablegte. Die Ausbildung hatte Samuel Stanford bezahlt, und er hatte in den folgenden Jahren keinen Grund, diese Kapitalanlage zu bereuen. Ray erwies sich als intelligenter, technisch begabter Ingenieur, der im Konstruktionsbüro der Stanford-Werke seinen Weg zu machen versprach.
Inzwischen freilich hatte sich Jeane, die Tochter der Stanfords, halb gegen den Willen der Eltern mit einem gewissen Mister Rosega verlobt, der eines Tages in New York aufgetaucht war, aus Florida stammte und Plantagen besaß.
Samuel Stanford sah den etwas arroganten Rosega nicht sonderlich gern, aber er wollte dem Glück seines einzigen Kindes nicht im Wege stehen und stimmte schließlich auch der Eheschließung zu.
Als die junge Mrs. Rosega schließlich mit ihrem Mann nach Florida übersiedelte, nahm sie Rays Mutter als Haushälterin mit. Nur Ray blieb in New York, im Hause der Stanfords, und er war der einzige Mensch, der die alternden Stanfords vor völliger Einsamkeit bewahrte.
Und dann war plötzlich das Telegramm von Jeane Rosega gekommen, daß Ray doch zum Geburtstag seiner Mutter nach Sun City kommen möge. Er sei von Herzen eingeladen. Das war der Grund für Rays Reise.
Jeane Rosega, geborene Stanford, hatte sich nicht verändert. Noch immer hatte sie die kerzengerade Haltung einer geborenen Aristokratin, die kühlen, klugen, grauen Augen ihres Vaters blickten noch immer aus einem Gesicht, dessen unauffällige Schönheit zeitlos zu sein schien. Sie begrüßte ›ihren kleinen Bruder‹ mit der offenen Herzlichkeit, die Ray von ihr gewöhnt war. Allerdings entging ihm nicht, daß sie im Verlaufe des ganzen Tages nicht ein einziges Mal von ihrem Mann sprach. Erst beim gemeinsamen Abendbrot erwähnte sie beiläufig, daß ihr Mann sich auf einer Geschäftsreise befinde und wahrscheinlich erst am späten Abend zurückkehren werde. Jedenfalls könne man nicht auf ihn warten.
»Wir haben in unserem Club heute abend eine kleine Geselligkeit«, sagte sie, während sie nachdenklich in ihrem Tee rührte. »Sie sollten wirklich mitkommen, Ray Es wird ein wenig getanzt werden — und Sie sind doch hoffentlich noch der gute Tänzer, der Sie waren?«
Ray zuckte die Achseln:
»Ich weiß nicht. Ich habe in den letzten Jahren nicht allzuviel Zeit dazu gehabt.«
Delora, die sechzehnjährige Tochter der Rosegas, mischte sich mit südländischem Temperament ins Gespräch.
»Mam, wenn Mister Connelli ein guter Tänzer ist, muß er mitkommen. Es wird sowieso wieder schrecklich langweilig werden mit den alten Knastern, die keinen vernünftigen Tanz können.«
»Die alten Knaster sind samt und sonders Herren, mein Liebes«, tadelte Mrs. Rosega lächelnd und wandte sich wieder an Ray: »Nicht wahr, Sie begleiten uns?«
Ray sah fragend zu seiner Mutter. »Natürlich geht er mit«, entschied die alte Negerin resolut. »Er wäre schön dumm, wenn er nur meinetwegen hier Sitzenbleiben wollte. Ich bin müde und gehe früh ins Bett.«
Damit war die Frage entschieden. Gegen acht Uhr setzte sich Ray ans Steuer des grünen Fairlane, der Mrs. Rosega gehörte.
Die kleine, zierliche Delora gab die Richtung an und verspritzte spöttische Bemerkungen über die Insassen anderer Wagen, die Ray überholte. Aber auch sie sprach nicht ein einziges Mal van Mr. Rosega. Ray fiel es auf, aber er hielt es nicht für wichtig und vergaß es schnell wieder.
Der Abend entwickelte stich zu einem netten, kleinen Fest. Nachdem Delora die tänzerischen Qualitäten Rays erst einmal festgestellt hatte, ließ sie ihm keine Ruhe mehr. Er kam kaum dazu, ab und zu an seinem Whisky zu nippen, so fleißig schleppte ihn das junge Mädchen auf die Tanzfläche.
Es mochte gegen elf Uhr sein, als Ray mitten in einem Blues bei romantisch gedämpfter Beleuchtung plötzlich hinter seiner Tänzerin einen Mann auftauchen sah, den er wegen der farbig-trüben Beleuchtung zunächst nicht erkannte. Der Mann schien betrunken zu sein, aber er wollte zweifellos etwas von Delora Rosega.
»He, Miss Rosega!« lallte er mit schwerer Zunge.
Das Mädchen wandte dien Kopf.
»Ja, was ist denn?«
»Sie so-sollten sich was schä-schämen! Ein anstä-ständiges Mädchen treibt sich nicht mit einem verkom-kommenen Neger herum! We-wenn das Ihr Vater wüßte —«
Ray schoß das Blut ins Gesicht. Der Mann war jener Wirt, der Ray am Morgen zusammengeschlagen hatte. Jener Steewy, der schuld daran war, daß Ray in Sun City mit Prügeln empfangen worden war.
Delora
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