018 - Die Vampirin Esmeralda
Rette uns vor der Folter der Inquisition!«
Sie betrachtete die fette Frau und kam zu der Überzeugung, daß diese meinte, was sie sagte. Das machte für sie alles nur noch verwirrender. Es ging über ihren Horizont, daß sie in eine Zeit verschlagen worden sein sollte, in der Spanien unter der Inquisition litt.
Sie ließ ihre Blicke über die anderen schweifen, die zerschunden und gefesselt an den Sprossen des Leiterwagens hingen, und sie ließ ihre Blicke weiterwandern, über die mittelalterlich gekleideten Soldaten in ihren Rüstungen, die neben dem Wagen einhertrotteten, zu den prächtig gekleideten Rittern, die dem Wagen voranritten und über das verwilderte Land.
Nein, das war nicht das Andalusien des 20. Jahrhunderts. Und diese Menschen stammten auch nicht aus ihrer Zeit. Obwohl sie immer noch nicht begreifen konnte, was passiert war, begann sie zu ahnen, daß dies nicht nur ein böser Traum war. Das alles war Wirklichkeit. Sie begann haltlos zu schluchzen.
Der Soldat, der ihr am nächsten war, lachte boshaft. »Bereust du bereits, daß du dich mit dem Teufel eingelassen hast? Zu spät, Hexe. Deine Zähren retten dich nicht vor dem Inquisitionstribunal.«
Die fette Frau betrachtete sie mit einer Mischung aus Ekel und Überraschung. »Du kannst weinen?« fragte sie irritiert. »Eine Hexe, die Tränen in den Augen hat … das verstehe ich nicht.«
Esmeralda blickte auf. »Ich bin nicht die, für die ihr mich haltet«, beteuerte sie. »Ich bin – ohne zu wissen wie – in diese Zeit verschlagen worden. Ich …« Sie verstummte unter den ungläubigen Blicken ihrer Leidensgenossen und begann wieder haltlos zu schluchzen.
»Hör auf! Das bringt nichts ein«, meinte die fette Frau nach einer Weile ungehalten, aber aus ihrer Stimme klang nun so etwas wie Mitleid. »Besinne dich, Esmeralda!«
»Ich heiße nicht Esmeralda!« schrie sie gequält auf. »Ich bin …« Sie verstummte. Es hatte keinen Sinn, diesen Leuten zu erklären zu versuchen, wer sie war und aus welcher Zeit sie stammte. Nicht einmal diese Teufelsanbeter, die sich der Schwarzen Magie verschrieben hatten und an übernatürliche Mächte glaubten, würden ihr ihre Geschichte abnehmen. Es hatte keinen Zweck, mit ihnen darüber zu reden.
»So kommst du nicht durch«, behauptete die Dicke. »Alles Leugnen hat keinen Sinn. Wenn wir erst einmal in den Kerkern der Inquisition sind und gefoltert werden, gibt es für uns keine Rettung mehr. Besinne dich auf deine magischen Kräfte, Esmeralda, und vernichte dieses gottgläubige Pack mit einem Blitz!«
Esmeralda schüttelte verzweifelt den Kopf. Es war zugleich eine Geste endgültiger Resignation. Sie glaubte nicht mehr daran, daß sie in ihr früheres Leben zurückkehren konnte. Es müßte schon ein Wunder geschehen.
»Wohin bringt man uns?« fragte sie.
»Nach Cordoba«, antwortete die fette Frau.
Esmeralda hatte von ihr erfahren, daß sie Carmen hieß und die Frau eines Bauern war. Ihr Mann hätte sie schlecht behandelt, geschlagen und gezwungen, sich Reisenden für Geld hinzugeben. Daraufhin verschwor sie sich dem Teufel, um sich an ihrem Mann zu rächen. Sie hatte bereits zum dritten Mal an einem Sabbat im Verirrten Lamm teilgenommen und einmal sogar zusehen dürfen, wie der von ihnen verehrte Hexenmeister das Blut einer Jungfrau getrunken hatte.
Esmeralda erfuhr im weiteren Gespräch mit den anderen, daß man schon oft erwartet hatte, daß sie während der Schwarzen Messen durch das Tor der Finsternis treten würde. Doch da sie nicht erschien, war ihr Meister immer so wütend geworden, daß er sich wahllos ein Opfer suchte, oft eine Jungfrau, an deren Blut er sich gütlich tat.
Den Erzählungen nach zu schließen, handelte es sich bei dem von den Teufelsanbetern verehrten Meister um einen Blutsauger, einen Vampir. Aber gab es denn überhaupt Vampire? Esmeralda hatte sie bisher nur für Ausgeburten der menschlichen Phantasie gehalten, für eingebildete Schauergestalten aus der Zeit des Hexenwahns. Nun befand sie sich in dieser Zeit – wenn sie das genaue Datum auch noch nicht kannte – und bekam plötzlich Hinweise, daß es diese blutsaugenden Dämonen in Menschengestalt tatsächlich gegeben hatte.
»Warum bringt man uns nach Cordoba?«
Die fette Carmen warf ihr unverständliche Blicke zu, gab ihr aber dennoch Antwort. »Weil in Cordoba das Inquisitionstribunal seinen Sitz hat. Aus dem ganzen Land werden jene, die verdächtigt werden, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, zusammengetrieben und
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