Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0183 - Der Mann, der das Grauen erbte

0183 - Der Mann, der das Grauen erbte

Titel: 0183 - Der Mann, der das Grauen erbte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang E. Hohlbein
Vom Netzwerk:
wurde, die er rief. Eine Zeile aus dem Zauberlehrling fiel ihm ein:
    Die Geister die ich rief, ich word sie nicht mehr los…
    Oder so ähnlich. Das Zitat war wahrscheinlich nicht wortgetreu, aber es versinnbildlichte alles, was er im Moment fühlte.
    »Unsinn«, murmelte er halblaut. Er war sicher… Er hatte alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die das Buch vorschrieb, und noch ein paar mehr. Alle seine Vorgänger waren Narren gewesen. Das Buch hatte vielen das Verhängnis gebracht, aber sie trugen selbst Schuld an ihrem Schicksal. Sie waren Narren gewesen, verblendete Idioten, die nach Ruhm und Reichtum trachteten und die Gefahr, die sie heraufbeschworen, unterschätzten.
    Nein - er hatte sich vorbereitet. Ein Fingerschnippen von ihm würde reichen, die Geister wieder dahin zu verbannen, wo sie herkamen, das Tor ein für allemal zu schließen.
    Und er hatte noch ein Übriges getan. In der Brusttasche seines Hemdes befand sich ein winziger Sender, ein technisches Wunderwerk, das er für viel Geld hatte anfertigen lassen und das auf seinen Herzschlag reagierte. Solange sein Herz schlug, solange er atmete, blieb das Gerät inaktiv. Aber wenn ihm etwas zustieß, würde es einen kurzen Funkimpuls ausstrahlen, und eine Reihe von genau plazierten Sprengsätzen würden das unterirdische Gewölbe und alles, was sich darin befand, vernichten.
    Nicht, daß er mit so etwas rechnete…
    Das Leuchten an der Wand wurde jetzt stärker. Von dem grünlich glühenden Punkt erstreckten sich dünne, schlangengleiche Lichtfühler nach allen Seiten, prallten gegen die unüberwindliche Barriere, die das Hexagon bildete, und flossen daran ab wie an einem unsichtbaren Schutzschirm, bis die ineinander verschlungenen Kreidestriche wie unter einem geheimnisvollen inneren Leuchten glühten.
    Celhams Blick suchte die Lampe. Das Licht der Glühbirne war mittlerweile fast ganz erloschen; er konnte den gedrehten Glühfaden sehen, wenig mehr als ein schwacher Funke. Während er hinsah, verlosch er ganz.
    Aber der Raum wurde nicht dunkel; im Gegenteil. Das Leuchten des Hexagons füllte ihn jetzt ganz aus, überschwemmte die Kammer mit einer Flut von hartem, grausamem Licht, das die Konturen verzerrte und die Schatten zu geheimnisvollem Leben zu erwecken schien.
    Celhams Atem beschleunigte sich. Seine Finger glitten über das brüchige Pergament des Buches, legten behutsam Seite um Seite um, bis sie die gekennzeichnete Stelle gefunden hatten. Celham wagte es nicht, den Blick von der Erscheinung zu nehmen, als fürchte er, daß in dem winzigen Augenblick, in dem er die Erscheinung nicht mit Blicken fixierte, irgend etwas Schreckliches, Grauenhaftes geschehen könnte. Celham wagte nicht einmal, zu blinzeln. Seine Lippen beteten lautlos die Worte herunter, die oben auf der aufgeschlagenen Seite standen. Es war nicht nötig, daß er hinsah, er kannte sie auswendig, seit Jahren schon, und es war auch nicht notwendig, daß er sie laut aussprach; es genügte, wenn er daran dachte. Das Schreckliche war weit genug in die Welt der Realität vorgedrungen, um seinen Gedanken, seine Gefühle lesen zu können. Die Krücke der akustischen Verständigung war nicht mehr nötig.
    Im Zentrum des geheimnisvollen Leuchtens entstand Bewegung, ein dunkler, wirbelnder Strudel, der mit jeder Sekunde, jedem Atemzug, jedem Wort, das Celhams Lippen formten, an Substanz gewann, als söge die Erscheinung Kraft aus der Beschwörungsformel. Gleichzeitig wurde es kälter. Die Wärme schien sich um Celham herum zu verdichten, sich zu unsichtbaren, wallenden Schwaden zu formen, die durch das geheimnisvoll glühende Tor in eine andere, verbotene Welt abfloß.
    Er fror. Seine Finger wurden erst gefühllos, dann steif, bis sie schließlich wie hölzerne Imitationen einer menschlichen Hand auf dem Pergament des Buches lagen. Er versuchte sie zu bewegen; es ging nicht. Er spürte, wie seine Stimmbänder den Dienst aufgaben, wie seine Augäpfel schwer wurden, bis er sie nicht mehr bewegen konnte, wie seine Lider sich bis auf einen winzigen Spalt schlossen. Sein Gesichtsfeld verengte sich auf einen winzigen, kreisförmigen Ausschnitt, in dessen Zentrum das glühende Hexagon schwebte.
    Er konnte nicht einmal schreien, als die Erscheinung Gestalt annahm. Er hatte gewußt, was er zu erwarten hatte, welcher Art die Dämonen waren, die er mit seinen Beschwörungen rief. Aber die Wirklichkeit war viel schrecklicher als jede Vorstellung, jedes Bild, das er sich gemacht hatte. Die Erscheinung

Weitere Kostenlose Bücher