019 - Bei Vollmond wird gepfählt
die Kanes, die zu seinen Kunden zählten, als nette alte Leutchen. Von Zeit zu Zeit nahmen sie eine Untermieterin ins Haus auf, aber die Mieterinnen schienen sich allesamt mit dem düsteren Bau nicht anfreunden zu können und zogen nach kurzer Zeit wieder aus.
»Woher wissen Sie, daß sie ausziehen?« fragte Dorian den Kaufmann.
Der war verblüfft. »Na, das ist aber eine merkwürdige Frage. Sie verschwinden. Man sieht sie nicht mehr in der Gegend, und da müssen sie doch wohl woanders hingezogen sein, oder?«
Dorian ließ das auf sich beruhen und fragte nach dem Spuk.
Der Kaufmann, ein beleibter grauhaariger Mann mit rötlicher Gesichtsfarbe, runzelte die Stirn. »Nicht einmal vor zwei harmlosen alten Leuten schreckt die Klatschsucht zurück«, sagte er verstimmt. »Ein paar Waschfrauen und Männer, die ich nur als alte Weiber in Hosen bezeichnen kann, behaupten, es poltert und rumort in dem alten Haus in manchen Vollmondnächten. Einige wollen sogar Schreie gehört haben.«
»Gibt es in dem Haus einen zehnjährigen Jungen und ein neunzehnjähriges Mädchen?«
»Wie kommen Sie darauf? Natürlich nicht. Wie sollten die unverheirateten alten Kanes, die keinerlei Verwandtschaft haben, wohl zu einem Kind und einer jungen Dame kommen?«
»Aber ein Untermieter lebt doch schon seit längerer Zeit bei den Kanes? Ein Mr. Keystone?«
»Wer hat Ihnen denn das erzählt? Die Kanes haben manchmal eine Untermieterin, aber ein Mann wohnt dort nicht.«
Der Kaufmann, dem Dorian gleichfalls die Geschichte mit dem Maklerbüro erzählt hatte, brachte nun die Rede auf das Grundstücksangebot in Fulham. Es stellte sich heraus, daß er selber ein Grundstück hatte und einem Verkauf nicht abgeneigt war. Dorian sagte, er wollte die Angelegenheit mit seinem Chef besprechen, und verabschiedete sich.
Mrs. Shockler traf er nicht an.
Als Dorian anschließend zum Friedhof fuhr, sah er das flaschengrüne Leyland Coupé dort parken. Er stellte den Rover daneben und ging auf den Friedhof. Ohne Schwierigkeiten fand er das Grab, vor dem das schöne blonde Mädchen, der kleine Junge und der Hermaphrodit Phillip in der Nacht gestanden hatten. Die frischen Wiesenblumen lagen noch auf dem Grab.
Er stellte den Kragen seines Mantels auf und starrte auf das Grab und die Blumen. Es nieselte wieder. Über den grauen Himmel trieben Wolkenfetzen. Der September war in diesem Jahr kalt, trüb und regnerisch.
Als Dorian sich umdrehte, sah er einen Mann mit einem tabakbraunen Trenchcoat am Friedhofseingang stehen. Der Mann beobachtete ihn, daran gab es keinen Zweifel. Dorian ging auf ihn zu, und der Mann ging davon. Auf die Entfernung hatte Dorian ihn nicht genauer erkennen können, nur daß er mittelgroß war, hatte er gesehen.
Der Dämonenkiller vergrub die Hände in den Manteltaschen und steuerte auf das Häuschen des Friedhofswärters in der hinteren Ecke des Friedhofs zu. Die Angelegenheit wurde immer verwirrender und rätselhafter. Der Blumenstrauß bewies, daß Dorian in der Nacht von keinem Trugbild genarrt worden war. Doch wer zum Teufel waren das Mädchen und der Junge? Und was war mit Mr. Keystone, von dem die alte Liza behauptete, er wohne im Haus, und von dem der Kaufmann, der es wissen mußte, keine Ahnung hatte?
Hunters Stimmung war genauso trübe wie der regnerische Septembertag. Seine Gedanken schweiften kurz zu Coco. Wo sie jetzt wohl sein mochte?
Der Friedhofswärter war ein schräger alter Vogel mit wasserhellen Augen. Ein Ölöfchen verbreitete wohlige Wärme, ein Kasten Bier und eine halbleere Ginflasche standen vor dem Friedhofswärter. Er war betrunken und in einer leutseligen Phase, in der er die ganze Welt umarmen wollte; Dorian war ihm als Gesprächspartner hochwillkommen.
Der Dämonenkiller fand sich auf einem wackligen Stuhl wieder, eine Flasche warmes Bier in der Hand, einen Gin vor sich.
»Auf den besten Job der Welt!« rief der Friedhofswärter.
Er kippte den Gin hinunter und Dorian tat es ihm nach. Wenn das Zeug auch nicht schmeckte, so brannte es doch wohlig im Hals.
»Sie sind mit Ihrem Job zufrieden?« fragte Dorian interessiert.
»Freilich. Kannst ruhig Pete zu mir sagen, alter Junge. So 'nen Job gibt's auf der ganzen Welt nicht wieder. Ich kann den ganzen Tag die Beine unter den Tisch strecken und mir die Nase begießen. Die da draußen beschweren sich nie. Es bringt zwar nicht viel ein, aber solange ich nicht zu arbeiten brauche und genug fürs flüssige Brot habe, bin ich zufrieden.«
Das war auch eine
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