019 - Bei Vollmond wird gepfählt
und fragte nun nach der Frau, wegen der er hergekommen war. Bisher hatte er sie im Lokal, das sich hochtrabend Club nannte, nirgends gesehen.
»Einen laubfroschgrünen Mini Cooper fährt sie? Das kann nur Claudia sein. Sie tritt hier als Stripperin auf. Um halb neun ist ihr erster Auftritt. Da kannst du sie bewundern. Wie kommst du denn ausgerechnet an Claudia?«
»Ich habe sie im Wagen gesehen, als sie gerade in die Einfahrt einbog. Sie gefiel mir. Und da ich ohnehin nicht wußte, was ich heute abend treiben sollte …«
Die Brünette musterte Dorian abschätzend. »So hübsch ist Claudia auch wieder nicht. Versuch es lieber mit mir! Du wirst es nicht bereuen.« Sie versuchte, verführerisch zu lächeln, was gründlich mißlang.
»Mir gefällt aber Claudia«, sagte er. »Wenn du sie mir nach ihrer Show an den Tisch schickst, spendiere ich dir noch einen.«
Die Brünette schnaubte verächtlich, akzeptierte aber.
Später saß Dorian allein an seinem Tisch, trank langsam seinen Bourbon und rauchte. Er wollte sich über die Stripperin Claudia Zugang zum Haus der Kanes verschaffen. In den nächsten Vollmondnächten mußte er im Haus selbst sein, um den Spuk aus nächster Nähe mitzuerleben.
»Du dämliches Miststück!« schrie der Manager. Sein Gesicht war hochrot angelaufen. »Du bist bis obenhin mit Stoff voll. Und so willst du hier auftreten? Du blödes Stück, kannst du denn nicht nach der Show fixen?«
Er schlug dem rothaarigen Mädchen ins Gesicht.
Claudia Bell, die sich mit drei anderen Mädchen den Umkleideraum teilte, griff ein. Die anderen beiden, mit knappen Kostümen bekleidet, kümmerten sich um nichts und waren ganz damit beschäftigt, sich vor dem Spiegel zu schminken.
»So kannst du Helen nicht behandeln, Roger«, protestierte Claudia energisch. »Weil sie von dem Stoff nicht loskommt, ist sie noch lange kein Hund. Schick sie nach Hause für heute.«
»Das kommt gar nicht in Frage. Sie hat hier fünfmal in der Nacht aufzutreten. Oder soll ich das ganze Programm vielleicht mit drei Stripperinnen bestreiten?«
Claudia stand auf und baute sich vor dem kleinen, feisten, kahlköpfigen Manager auf. Sie war groß und schlank und überragte ihn um einen halben Kopf.
»Dann schick sie doch raus! Meinst du etwa, die Typen da draußen merken, daß sie high ist? Und selbst wenn, die wollen doch alle nur nacktes Fleisch sehen. Auf das Gehopse und das Drumherum achtet in dem miesen Schuppen hier sowieso keiner.«
Claudia Bell war die Zugnummer des Hauses, von einer anderen hätte der Manager sich nicht so viel gefallen lassen. Er murrte noch ein wenig, ließ aber die rothaarige Helen, die mit entrücktem Gesichtsausdruck teilnahmslos vor ihrem Schminkspiegel saß, in Ruhe.
»Wenn mir die Bullen draufkommen, gibt's Ärger«, knurrte er nur noch. »Sieh zu, daß sie sich für ihren Auftritt fertigmacht, Claudia!«
Die Klingel rief Claudia auf die Bühne. Mit einem strahlenden Lächeln erschien sie im Scheinwerferlicht. Der Beifall der wenigen bereits anwesenden Gäste begrüßte sie. Claudia verbeugte sich.
Sie trug ein Kostüm aus Pfauenfedern, das ihren schlanken, gutgebauten Körper hervorragend zur Geltung brachte. Sie lächelte mechanisch, während sie die einstudierten Schritte vollführte.
Vor anderthalb Jahren noch wäre es ihr nicht eingefallen, in einem so schäbigen kleinen Club in Soho aufzutreten. Damals hatte sie manchmal fünfhundert Pfund in der Woche zur Verfügung gehabt, einen reichen Barbesitzer als Freund, und sie hatte sogar in zwei Sexfilmen kleine Rollen gespielt. Dreiundzwanzig war sie damals gewesen; es schien zehn Jahre und mehr zurückzuliegen. Damals hatte sie geglaubt, sie würde reich werden und eine große Karriere machen. Dann war Paul gekommen, ein arbeitsloser Musiker, der sich mit Einbrüchen und Betrügereien über Wasser hielt; ein richtiger Sonnyboy, in dessen Händen Claudia Wachs war. Mit ihm hatte die Misere angefangen. Claudia verkrachte sich mit dem reichen Barbesitzer, der ein paar ihrer lukrativsten Einnahmequellen sperrte, Paul verschwand mit einem Großteil ihres Geldes auf den Kontinent, als die Polizei ihn wegen einer Betrugsaffäre suchte, und Claudia begann zu trinken. Bald hatte sie sich völlig ruiniert, finanziell und körperlich. Als sie nach einer Entziehungskur aus dem Sanatorium entlassen wurde, stand sie vor dem Nichts und mußte erst langsam wieder Fuß fassen. Sie war froh gewesen, in dem schäbigen Club in Soho unterzukommen, in dem sie in
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