0191 - Fenris, der Götterwolf
ich. Wir müssen es schaffen.«
Der Bürgermeister schaute sich um. In jedes einzelne Gesicht blickte er. Da war niemand, der ihn unterstützte und das Wort übernehmen wollte.
»Ihr glaubt mir nicht?«
»Es ist zumindest schwer, Herr Pfarrer«, erwiderte der Bürgermeister.
»Ja, das kann ich mir denken. Es ist wirklich nicht leicht. Ich habe auch zu den Zweiflern gehört. Ich wollte sogar die Dämonie der Wölfe ignorieren, aber ich habe mich eines Besseren belehren lassen müssen. Der Mann aus London hat es mir bewiesen. Durch sein Kreuz konnte ein Wolf getötet werden. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Geist der Mutter Barbara aus dem Wolf herausgefahren ist. Dieses Tier war verflucht, obwohl die Seele der Äbtissin in ihm lebte. Doch durch die Berührung mit dem Kreuz hatte die Seele der gütigen Mutter Barbara wieder Ruhe finden können. Sie hat sich für uns geopfert, für uns Menschen, und allmählich beginnt sich das Geheimnis zu lichten, das über dem Orden liegt. Was ich durch meine Fragen nicht erreicht habe, bekommen wir nun bewiesen, und wir sollten die Nonnen nicht allein lassen, sondern mithelfen.«
»Wie ist es denn mit den Männern aus London?« fragte jemand.
»Sie wollten zum Kloster.«
»Da sind sie den Wölfen ja schön aus dem Weg gegangen«, meinte ein anderer.
»So dürfen Sie nicht reden!« fuhr der Pfarrer den Mann an. »Nein, so nicht.«
Bürgermeister Gillan hob beide Hände und bat um Ruhe. »Ich bin dafür, daß wir meinen Vorschlag annehmen und erst einmal die Runde machen. Sollten wir keinen Erfolg damit haben, können wir noch immer auf die Hilfe des Pfarrers zurückkommen. Wer meiner Ansicht ist, möge sich erheben.«
Alle standen auf.
Father Stone schüttelte den Kopf. »Männer«, sagte er leise. »Ihr lauft in euer Unglück. Die Wölfe sind stärker.«
Zwei lachten. »Wir aber auch.« Sie klopften auf ihre Gewehrschäfte.
Dann verließen sie das Hinterzimmer. Der Pfarrer schaute ihnen nach und faltete die Hände. Er glaubte nicht, daß die Leute es schaffen würden.
Vor der Tür empfing die Männer der dichte Nebel, der die Suche noch unnötig erschwerte. Die wenigen Lampen, die brannten, waren kaum zu erkennen. Höchstens als milchige, verwaschene Gebilde.
Zudem war es kalt geworden. Die Männer stellten die Kragen ihrer Jacken hoch. Flüsternd wurden letzte Einzelheiten besprochen. Man einigte sich schnell darauf, wer wo suchen sollte. Und Schüsse würden trotz des Nebels zu hören sein.
»Alles klar?« fragte der Bürgermeister.
Die Leute nickten.
Sie wünschten sich noch gegenseitig viel Glück, bevor sie sich trennten. Schon bald waren sie im dichten Nebel verschwunden. Es schien, als hätte sie es nie gegeben…
***
Wahrscheinlich war der Nebel so dicht, daß ich von den Nonnen nicht gesehen werden konnte, denn erst als ich vorschritt und meine Umrisse deutlicher wurden, sahen die Nonnen mich.
Ihre Reaktionen zeigten Unterschiede. Es gab Frauen, die schrien leise auf, andere standen stumm, wie die beiden mit dem Spaten und eine schaute mich direkt an.
Clarissa, die Äbtissin.
Das Kreuz hatte ich vor meiner Brust hängen. Trotz des dichten Nebels schimmerte es silbern. Es strahlte einen matten Glanz ab, und der gab mir irgendwie Kraft.
Denn Kraft brauchte ich, da ich wußte, welch ein gefährlicher Gegner dieser Fenriswolf war.
Auch er hatte sich umgedreht und schaute mir entgegen. Er stand neben der Äbtissin. Die Frau wirkte klein und unscheinbar im Vergleich zu der rotäugigen Bestie. Fenris hatte die Zähne gefletscht.
Aus seinem Maul troff giftgrüner Geifer. Tief in seiner Kehle vernahm ich ein Grollen. Es hörte sich an wie ein anstürmendes Gewitter und zitterte mir entgegen.
Die übrigen Nonnen hatten mir schweigend Platz gemacht.
Wohl war mir nicht zumute. Der Schädel des Wolfes befand sich etwa in meiner Kopfhöhe. Er war schon ein gewaltiges Biest, ein Spiel- und Wachhund der germanischen Götter. Seltsam waren nur seine Augen. Sie schimmerten zwar rot, aber ich glaubte in ihnen auch so etwas wie Gefühl und Wissen zu lesen. Das Wissen um Dinge, die für uns Menschen ein Rätsel sind.
Je näher ich an ihn heranschritt, um so deutlicher sah ich die echte Farbe des Fells.
Tiefschwarz.
Wie die Nacht, wie das Böse schlechthin…
Als ich die Nonnen passiert hatte, blieb ich stehen. Jetzt trennten mich nur noch wenige Schritte von Fenris, und die Entfernung wollte ich auch beibehalten.
Der Mantel des Schweigens legte
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