0191 - Fenris, der Götterwolf
wußte und das Auftauchen der Wölfe sehr ernst nahm.
Father Stone hatte sich gesetzt. Er war nicht mehr der Jüngste und mußte sich einfach ausruhen. Die Männer, die sich hier versammelt hatten, waren die mutigen. In Windeseile hatte es sich im Dorf herumgesprochen, was geschehen war. Man hatte Türen und Fenster verriegelt, kein Wolf sollte die Chance bekommen, in eines der Häuser einzudringen und Frauen oder Kinder anzugreifen.
Die Unsicherheit aber blieb…
Es gab zahlreiche Tiere in Avoca. Hunde, Katzen, Hühner, Gänse, Enten, das größere Schlachtvieh einmal nicht mitgerechnet. Und auch die Tiere spürten, daß etwas nicht stimmte. Hier war einiges anders. Sie merkten den Schatten der Gefahr, der über Avoca lag.
Dementsprechend ruhig verhielten sie sich.
Die versammelten Männer waren bewaffnet. Zumeist trugen sie Jagdgewehre, aber auch Äxte, Beile und Messer. Damit hofften sie, der Wolfsplage Herr zu werden.
Bürgermeister Gillan räusperte sich, bevor er anfing zu reden.
»Wir leben in einer modernen Zeit«, sagte er, »aber jeder von uns kennt die Vergangenheit dieses Dorfes. Wir wissen, was geschehen ist, daß vor sehr, sehr langer Zeit ein dämonischer Einfluß über diesem Gebiet lag. Die Legende erzählte nicht umsonst von dem germanischen Wolf Fenris, der in das Gebiet der Kelten und Druiden eingedrungen war und sich eine Insel der Macht geschaffen hat. Unsere Vorfahren hatten ein Kloster gebaut, eine Trutzburg, einen Schutz gegen den bösen, dämonischen Einfluß. Wir sind den Nonnen zu großem Dank verpflichtet. Denn ihr Orden hat es in den letzten Jahrhunderten übernommen, der Wolfsplage Herr zu werden, so daß wir in Ruhe und Frieden leben konnten. Doch die Zeiten haben sich geändert. Irgendwie muß es den Wölfen gelungen sein, den Schutz des Klosters zu durchbrechen. Sie sind nach Avoca zurückgekehrt, und sie sind ebenso schlimm wie vor Hunderten von Jahren, wenn man der Sage glauben darf. Damals haben sich die Menschen verkrochen, weil sie sich fürchteten. Heute aber besitzen wir Waffen, bessere Waffen, mit denen wir ihnen begegnen können. Wenn die Wölfe sich erdreisten, unser Dorf zu besetzen, werden wir sie töten. Wir müssen sie ausrotten, ein für allemal.«
Nach diesen Worten erntete der Bürgermeister beifälliges Nicken aller Versammelten.
»Und wie hast du dir das vorgestellt?« erkundigte sich der Lehrer.
Er wollte auch mitgehen, ein schmalschultriger Mann mit einer randlosen Brille und hellen, strohigen Haaren.
»Wir könnten Gruppen zu je drei Mann bilden«, erwiderte der Bürgermeister. »Dabei teilen wir das Dorf in Parzellen auf. Jede Gruppe übernimmt eine Parzelle und durchsucht sie. Wenn sie auf einen Wolf trifft, dann muß sie ihn töten.«
Die Männer schauten sich an. Ihre Gesichter zeigten einen ernsten Ausdruck, alle wußten, daß sie Verantwortung trugen, und niemand von ihnen hatte einen anderen Vorschlag.
»Dann sind wir uns einig?« erkundigte sich der Bürgermeister.
»Ja.« Der Lehrer antwortete für alle.
»Moment noch.« Diesmal war es der Pfarrer, der sich einmischte und den Arm hob.
Father Stone blieb sitzen und wartete einen Augenblick, bis sich die Blicke der Anwesenden auf ihn eingependelt hatten. »So einfach geht das nicht, meine Freunde. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir es hier nicht mit normalen Wölfen zu tun haben.«
»Wie?«
Father Stone schaute den Lehrer an. »Sie kennen doch auch die Sage, Mr. Dell. In der Schule haben Sie den Kindern oft genug davon erzählt. Die Wölfe, die damals und auch heute in unser Dorf eingefallen sind, kann man nicht als normale Tiere bezeichnen. Sie stehen unter einem dämonischen Bann. Ich glaube kaum, daß sie sich erstechen, erschlagen oder erschießen lassen.«
Betroffenheit zeichnete sich auf den Gesichtern der Anwesenden ab. Da hatte der Geistliche ein wahres Wort gesprochen. Auf die Kraft der Waffen konnten sie nicht vertrauen.
»Wie sollen wir es dann machen?« fragte ein bärtiger Mann, der einen großen Hof besaß, zu dem zahlreiche Schafweiden gehörten.
»Mit den Waffen der Kirche«, erwiderte der Pfarrer klar und deutlich.
Im Augenblick wußte niemand darauf etwas zu sagen. Ein Mitglied lachte hart auf, als er den Blick des Pfarrers auf sich spürte, schwieg er jedoch.
»Und was haben Sie sich da vorgestellt?« wollte Bürgermeister Gillan wissen.
»Kreuze, Weihwasser…«
»Und Sie meinen wirklich, daß wir es damit schaffen?«
Der Pfarrer nickte. »Ja, das meine
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