0192 - Die Todessekte
rasselnd und mißtönend aus seiner Nase, deren Flügel sich blähten wie Segel im Wind.
So hätte der Glückliche seine Schicht bequem verbracht, ehe er zu Weib und Kind zurückkehrte, wäre nicht die Temperatur plötzlich abgesackt. Und wie das Unterbewußtsein, das sich in Träumen so austobt, spielt, so baute der Schlafende die Veränderung bequem in seine Vorstellungen ein: er jagte durch Eis und Schnee hinter einem Fabelwesen her, das sich ihm immer wieder entzog und ihn listig in die eisige Einöde lockte, bis er weder Weg noch Steg erkannte und sich mühsam, bis zur Brust einsackend, durch tiefen Schnee einen Pfad bahnen mußte, was freilich seine Kräfte auf die Dauer überstieg.
Sein schlafender Verstand ließ sogar einen Trost zu, der im Wachzustand nie passiert wäre: ist ja nur ein Traum, dachte der Polizist vergnügt, um die Angst loszuwerden, die ihn plötzlich in ihre Krallen bekommen hatte. Das Unwirkliche wehrte sich, indem es dem Träumenden suggerierte, er verletze sich an den gefrorenen Rändern des Schnees, durch dessen Decke er bei jedem Schritt brach.
Und als der Polizist merkte, daß ihm das Blut von den Handgelenken heruntertropfte, fuhr er mit einem halb erstickten Schrei von seinem Sitz hoch, stierte schlaftrunken und noch völlig verwirrt um sich und stellte als erster fest, daß Haido alias Muhara noch friedlich dalag, zweitens niemand sonst sich in der Zelle aufhielt - und tatsächlich eine Grabeskälte herrschte.
Mit klappernden Zähnen tastete sich der Beamte zu der Heizung und verbrannte sich prompt die Finger, weil die Rippen des Heizkörpers brüllend warm waren.
Das ließ ihn vollends wach werden.
Er beschloß gerade, den Alarmknopf zu drücken, der neben der Zellentür angebracht war, als er sah, welche Veränderung mit Haido vor sich ging.
Der Greis schien in Flammen zu stehen.
Blutrot schwebte und waberte eine Wolke um ihn, die undurchsichtbar war, unberührbar und doch vorhanden, und die eine infernalische Hitze ausströmte.
Um nichts in der Welt hätte der Polizist jetzt noch die Mumie berührt, die eine Farbe annahm wie eine glühende Herdplatte und nur als Schemen zu sehen war in dem roten Spiralnebel, der wie eine Wolke aus Blut die Gestalt einhüllte.
Der Uniformierte sperrte Mund und Nase auf, als sich die stille Gestalt in der Hitze auflöste, auseinanderfloß und ins Nichts tropfte. Die Mumie verschwand ohne Spuren zu hinterlassen und wurde sehr schnell verdrängt von einer weniger farbenfreudigen Erscheinung. Aus dem Nebel kristallisierte sich eine Figur, die der Polizist wohl kannte. Langsam formte sich die Gestalt des Inspektor Muharas, der die gleiche Handstellung zeigte wie vorher die Mumie: die Hände waren brav über der Brust gefaltet und lagen jetzt genau auf dem Bauchansatz, der den Inspektor zierte und ihm seine für japanischen Geschmack so imposante Erscheinung verlieh.
Der Polizist schluckte trocken.
Da traf ihn ein strenger Blick aus bekannten Augen.
»Ich will hier heraus«, heulte der Polizist plötzlich und schoß auf die Zellentür zu, die er mit Fäusten und Dienstschuhen mißhandelte, einen solchen Lärm vollführend, daß mehr als nur der Bereitschaftszug und das Wachpersonal zusammenliefen. Das Präsidium geriet in Aufruhr, denn jeder wußte, was ursprünglich durch Zamorra und den Leutnant in der Zelle verwahrt worden war. Natürlich hatte der Fall Wellen geschlagen, und längst boten Reporter Unsummen, um ein Bild von dem Hutzelgreis zu machen, der unfreiwillig bei der japanischen Polizei Quartier bezogen hatte.
Niemand kam auf die Idee, die Tür aufzuschließen, zumal jeder darauf vertraute, daß diese Zelle ausbruchssicher war und niemand genau wußte, welche rätselhaften und mysthischen Ereignisse sich dort abgespielt hatten. Nur eins stand fest: Muhara war in den Kreis seiner Kollegen zurückgekehrt. Er war es wie er leibte und lebte, aber warum stand er nicht auf, warum erhob er sich nicht, sondern erwiderte nur stumm und teilnahmslos ihre Blick, zuckte nicht einmal zusammen, als sich ein eilends alarmierter Hofmarschall aus dem Kaiserlichen Palast an das Guckloch drängte?
»Ich will hier ’raus!«, ertönte von Zeit zu Zeit ein kraftloses Wimmern, das ersichtlich nicht aus dem fest gechlossenen Mund des Inspektors kam und auch gar nicht zu ihm gepaßt hätte. Muhara hatte noch niemand jemals klagen gehört.
Irgendwann tauchte der Polizeiarzt auf, und er hatte sich entschlossen, auch dieses Phänomen mit
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