0192 - Die Todessekte
Blickfeld Ozakis, der sich wie in Krämpfen wand.
Lange blieben alle wie erschöpft liegen, und niemand sprach ein Wort oder rührte sich nur im mindesten.
Bis der Große Meister das Schweigen brach.
»Denkt daran, daß jeder Verrat entdeckt und bestraft wird. Ihr seht es an Suyumi. Wir kennen kein Mitleid und kein Erbarmen, wenn es um unser Ziel geht. Wer die Mächte der Finsternis ruft und mit ihnen paktiert, kann keine Schwäche dulden - weder bei sich noch einem seiner Nächsten. Hütet auch vor Schwäche und Verrat.«
Ein Murmeln der Zustimmung lief durch den Raum.
Ozaki mußte sich räuspern, bevor er antworten konnte. Er hatte beinahe die Aktion verpatzt, und insgeheim war er überzeugt, daß dem Großen Meister nichts verborgen geblieben war.
Er fürchtete sich vor der unvermeidlichen Bestrafung, aber Haido schien im Augenblick andere Sorgen zu haben.
»Konzentriert euch jetzt auf meine frühere Gestalt, die euch bekannt ist, und sendet mit mir die Befehle, die notwendig sind. Gebt euch Mühe. Zwar ist die äußere Erscheinung zweitrangig, aber ich möchte allen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen. Muhara ist schließlich zu bekannt. Wenn schon, schlüpfe ich eher in eine unauffällige Existenz, in den Körper eines Unbedeutenden, der im Schutz seiner Anonymität durch das Leben geht, von den Nachbarn geachtet, von seinen Freunden geehrt und von seinen Konkurrenten gefürchtet. Muhara, der so aussieht wie ich, wird seine Starre nicht ohne fremde Hilfe überwinden können, weil nur wenige den Schlüssel kennen. Zamorra traue ich es am ehesten zu, aber der Franzose sucht sein Heil eher in der Verfolgung unserer Mitläufer, wenn ich mich nicht irre. Wir werden uns teuer verkaufen!«
Wieder senkte sich Schweigen über die Versammlung.
Nicht jeder hatte noch die Kraft, ein neues Experiment von dieser Tragweite zu wagen, aber Haido gab allen Energie, die er selbstlos spendete wie eine Batterie, und die den Kreis durchpulste.
Haido, der ein feines Gefühl für die Kondition der Mitwirkenden besaß, übereilte nichts.
Dann aber, ohne daß er ein einziges Wort sprach, konzentrierte er sich. Es war, als wolle ein Raumschiff starten.
Ozaki klapperte hörbar mit den Zähnen, so wurde er durchgerüttelt.
Und als er fast die Besinnung verlor, geschah das Seltsame. Der Große Meister neben ihm durchlief blitzschnell eine Metamorphose und wandelte seine äußere Erscheinung.
Als er sich erhob, hatte er wieder jenes faltenreiche Gesicht und den schütteren Ziegenbart, den Ozaki tausendmal betrachtet hatte.
Muhara aber war aus ihrer Mitte verschwunden.
Ozaki wagte nur diesen einen Blick, denn jetzt hatte Haido Muße, sich um naheliegende Dinge zu kümmern, und wie er bewiesen hatte, kannte er keine Milde, wenn es um eine Übertretung der ehernen Gesetze des Inneren Kreises ging.
»Fangen wir an, einen Plan zu schmieden«, sagte der Große Meister.
***
Muhara, der wie Haido aussah, wurde von einem älteren Polizisten bewacht, der kopfschüttelnd seinen Befehl entgegengenommen hatte. Er war schon lange davon überzeugt, daß es in den Köpfen einiger Vorgesetzter nicht immer richtig zuging, und hier hatte er den Beweis. Der Unterschied zwischen diesem vertrockneten Wesen mit Ziegenbart und dem Inspektor, den der Uniformierte bestens kannte, war zu groß, als daß der Beamte ihn hätte überbrücken können, auch nicht, wenn angeblich die Blutgruppe und die Prints auswiesen, daß es sich hier um Muhara handeln mußte. Eine Vermutung, die von den Augen niemals bestätigt wurde.
Immerhin war dies offenbar ein gemütlicher Job, weil die Mumie keine Ansprüche stellte und keine Wünsche äußerte, die man erfüllen mußte. Sie lag da in den kostbaren Gewändern einer alten Zeit, und kein Lebenszeichen deutete an, daß sie jemals etwas anderes tun würde, als aus toten Augen zur Decke hinaufzustarren.
Die anderen Polizisten waren zur großen Razzia ausgeschwärmt, die vom Leutnant geleitet wurde, und suchten die Einwohner von Tokio, die durch einen Fünfzack im Genick kundtaten, daß sie sich geheimnisvoller und ungesetzlicher Methoden bedienten, um das Leben zu meistern.
Der Beamte hockte neben der Zellentür auf einem Schemel und lehnte sich bequem gegen die Wand, denn es war gut geheizt, und die Wärme machte ihn schläfrig. Ohne daß er es verhindern konnte, sackte ihm immer wieder das Kinn auf die Brust, und schließlich gab er der Versuchung nach. Er atmete ruhig und tief, und bei jedem Zug entwich die Luft
Weitere Kostenlose Bücher