0193 - Ich heulte mit den Wölfen
der beiden lebenslustigen Schwestern Mac Chlens, Al Sarpent und Richard Meadow, Erkundigungen einzuziehen.
Um halb vier verzog ich mich. Ich konnte ein paar Stunden schlafen, weil ich wusste, dass alles in besten Händen war. Wenn man mich brauchte, würde man mich schon wecken. Ich beeilte mich nicht sonderlich und versuchte unterwegs, die Ereignisse zu ordnen. Ich hatte das Gefühl, dass diese Entscheidung und der dadurch unbedingte Mord Verbrechen waren, deren Wurzeln innerhalb der Familie und der Freunde zu finden sein müssten. Der Kidnapper musste über alles im Bilde gewesen sein, über die Lage der Zimmer und über die Gewohnheiten der Leute. Er war auch zweifellos darüber orientiert gewesen, dass er ein fast leeres Haus vorfinden würde. Er hatte lediglich nicht damit gerechnet, dass James um halb zwölf noch wach war. Wer aber konnte ein Motiv gehabt haben? Ich wusste es nicht. Wenn eine der beiden Frauen durchgebrannt oder auch entführt worden wäre, hätte ich mir darüber keine Kopfschmerzen gemacht. Die Beziehungen der männlichen und weiblichen Bewohner zueinander waren so undurchsichtig, dass keiner daraus klug werden konnte.
Die beiden Frauen waren das, was man so »Flapper« nennt. Herumtreiberinnen. Sie hatten zu viel Geld und zu wenig Arbeit. Giles Ovoll hatte daraus schon vor Jahren die Konsequenzen gezogen. Trotzdem, oder vielleicht gerade darum, vertrug er sich blendend mit Nadine. Wie es zwischen Patsy Windlass und ihrem Mann aussah, wusste ich nicht. Ich hätte mir sehr gut denken können, dass er seinen kleinen Sohn genommen hatte und mit ihm verschwunden war. Dazu jedoch war der ganze Aufwand und vor allem kein Mord nötig. James hätte gar nichts dagegen tim können, wenn der Vater sein eigenes Kind mitnehmen wollte. Dazu passte auch nicht der verunglückte oder vielleicht nur vorgetäuschte Entführungsversuch an Cilly.
Wäre der Mord an dem Butler nicht gewesen, ich hätte die ganze Sache nicht tragisch genommen. Bei derartig überspannten und sensationslüsternen Zeitgenossen ist alles möglich.
***
Es war eine knappe Stunde vergangen, als ich in der stillen Straße anlangte, in der meine kleine Wohnung lag. Die Oktobernebel krochen vom Fluss herauf. Es war empfindlich kühl, und die Laternen hatten einen gelben Hof. Von den Bäumen fielen die letzten gelben und braunen Blätter.
Ich ließ meinen Jaguar vor der Haustür stehen. Meine Schritte hallten auf dem Pflaster. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und merkte zu meinem Erstaunen, dass die Tür offen war. Drinnen brannte kein Licht. Das war noch niemals vorgekommen. Eine offene Haustür liegt genauso im Bereich der Möglichkeit, wie eine durchgebrannte Birne, aber beides zusammen musste Misstrauen erregen. Unwillkürlich griff ich nach der Smith & Wesson und mit der anderen Hand nach der Taschenlampe. Ich sah nichts, und ich hörte nichts. Nur das rote Lämpchen neben der Tür des Lifts leuchtete.
Meine Wohnungstür war ordnungsgemäß verschlossen, trotzdem wollte die Unruhe nicht von mir weichen. Ich ging durch meine beiden Zimmer, durch Küche und Bad, knipste alle Lampen an, und es hätte nicht viel daran gefehlt, dass ich in die Schränke und unters Bett gesehen hätte.
Lächerlich, sagte ich leise und beschloss dann, mir noch eine Tasse Kaffee zu kochen und eine Kleinigkeit zu essen. Ich hatte Hunger. Ich machte in den Zimmern das Licht aus und setzte den kleinen Kessel mit Wasser auf die Heizplatte. Ich holte eine gut gekühlte Flasche Bier aus dem Schrank, schenkte mir einen ein und trank, auf der Ecke des Küchentisches sitzend. Alles war so still, dass es mir auf die Nerven ging. Ich stellte das Radio an und wartete, bis der Kessel pfiff.
Dabei machte ich mir ein Sandwich zurecht und begann, mich wieder wohlzufühlen. Von der Straße klang, durch die offene Tür des Wohnzimmers, das Surren eines Motors, der dann erstarb. Es gab auch noch andere Leute, die spät nach Hause kamen. Neugierig, wie ich bin, sah ich aus dem Fenster. Gerade gegenüber hielt ein großer Wagen. Er hielt, aber vorläufig stieg niemand aus. Vielleicht war es ein Liebespärchen, das Abschied nahm.
Es dauerte fast fünf Minuten, bis der Schlag aufging, aber nur drei Männer kamen heraus. Sie standen und sahen sich um. Keiner redete ein Wort. Keiner machte eine überflüssige Bewegung. Es waren einfach Schatten im Nebel, die ineinander aufgingen. Endlich kam Leben in die kleine Gruppe. Wie die Katzen glitten sie herüber; genau auf meine
Weitere Kostenlose Bücher