0196 - Die Mörderklaue
dies auf keinen Fall zu einem Dauerzustand machen. Wenn ihre Tochter schon im Bett liegenblieb, dann sehr fein und sehr schön. Die Hände sollten auf der Bettdecke liegen, wie es sich gehörte und…
»Ja, ja«, flüsterte Marga, »so mache ich es. Ganz bestimmt so.« Sie hob den Arm und wischte eine Haarsträhne aus der Stirn. Dann beugte sie sich vor, umfaßte ihre tote Tochter an den Achselhöhlen und zog sie ein Stück höher, so daß sie jetzt besser lag als zuvor. Das genau war die richtige Position.
Nur noch die Hände auf die Bettdecke legen, und kaum einer würde erkennen, daß Iris tot war. Wenn ein Fremder sie so sah, mußte er annehmen, Iris würde schlafen.
Marga faßte unter die Decke und zog die Arme ihrer toten Tochter hervor. Sie winkelte sie an, dabei rutschten ihre Finger weiter und berührten die rechte Hand.
Seltsam fühlte sie sich an. Irgendwie rauh, trotzdem glatt und auch schuppig.
Marga traute sich kaum, die Bettdecke anzuheben und nachzuschauen.
Sie mußte sich erst überwinden. Als sie es dann tat und die Hand sah, fuhr sie mit einem Schrei zurück.
Die Hand ihrer toten Tochter sah nicht mehr normal aus. Sie war zu einer grünen Klaue geworden…
***
Der Tod hat grüne Klauen!
Hatte Iris das nicht gesagt? Hatte sie nicht erst vor wenigen Minuten davon gesprochen? Die Gedanken fuhren im Kopf der Frau Karussell.
Ja, darüber hatte Iris geredet. Genau davon und von nichts anderem. Sie hatte den Tod gesehen, sie hatte mit ihm Kontakt gehabt, er war ihr begegnet in den heißen Fieberträumen. Sie sprach von einem Friedhof in Glora, wo die Hände zu Blumen geworden waren und umgekehrt.
Eine widerliche grüne Klaue hing über den Rand des Bettes. Margas Blick war starr. Gebannt schaute sie auf die Finger, die ihr wie grüne Würmer vorkamen, obwohl sie sich nicht bewegten, sondern ruhig nach unten hingen, wobei die Nägel zu Boden zeigten.
Schritt für Schritt wich Marga zurück. Dabei hob sie ihre Arme und preßte ihre Hände gegen die Wangen. Grauenhaft war das, was sie zu sehen bekam.
Aus der Toten war ein regelrechtes Monster geworden, wie es schlimmer kaum sein konnte.
Marga zitterte am gesamten Körper. Sie ging weiter zurück. In ihren Knien hatte sie ein flaues Gefühl, als sie mit dem Rücken gegen die Kante der offenstehenden Zimmertür stieß, erschrak sie und erwachte wie aus einem tiefen Traum.
Sie stierte auf Iris, die stumm und starr im Bett lag. Nichts rührte sich bei ihr, das Grauen, der Tod, all das vereinigte sie in sich.
Plötzlich hielt Marga es nicht mehr aus. Ein gellender Schrei drang aus ihrem Mund. Sie warf sich herum, machte kehrt, verließ in wilder Panik das Zimmer und rannte fluchtartig die Treppe hinunter. In diesem Haus konnte sie nicht mehr länger bleiben. Auf keinen Fall wollte sie länger hier sein.
Nie im Leben.
Sie jagte weiter. Weit waren die Augen aufgerissen. In den Pupillen schimmerte die Panik. Niemand würde ihr helfen. Die anderen Mieter waren nicht da, und die Wohnung über ihr stand seit zehn Wochen leer.
Wohin?
Marga riß die Haustür auf und wankte in den Vorgarten. Regen, vermischt mit Schnee, traf ihr Gesicht. Die schweren, nassen Flocken klatschten auf ihre Haut, wo sie sofort unter der Körperwärme schmolzen.
Marga Dexter schaute nach links.
Dort sah sie einen hellen Schein. Er fiel aus einem der Fenster im Parterre.
Da wohnte jemand. Da waren Menschen. Ob sie ihr halfen?
Marga versuchte es. Sie brach durch den Vorgarten. Ihre Füße knickten die winterlich kahlen Pflanzen, dann hatte sie die Haustür erreicht, hob den Arm und fiel mit ihrem gesamten Körpergewicht gegen die alte, in der Wand eingelassene Klingel…
***
Es war urgemütlich, und ich freute mich, daß ich mir diesen Abend freigenommen hatte. Frei für eine Frau, die mich einlud und deren Einladung ich gerne gefolgt war.
Der letzte Fall lag ein paar Tage zurück. Er hatte Suko und mich nach Schottland geführt, wo wir dem Wald der Skelette einen Besuch abgestattet hatten, der uns fast das Leben gekostet hätte. [1]
Nicht nur Suko oder irgendein anderer Mensch hatte mich vor dem Tode bewahrt, sondern eine Wölfin. Ich war davon überzeugt, daß in dem Körper dieses Tieres die Seele der Nadine Berger steckte, einer ehemaligen Filmschauspielerin, die auf eine schreckliche Art und Weise ums Leben gekommen war. Auch darüber wollte ich mit meiner Gastgeberin reden, denn wenn jemand Verständnis hatte, dann war sie es.
Vielleicht werden Sie schon
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