0196 - Die Mörderklaue
erraten haben, Freunde, wo ich mich befand. Wenn nicht, will ich das Rätsel gern lüften. Ich saß mit Sarah Goldwyn, der Horror-Oma, zusammen.
Jawohl, sie hatte mich eingeladen, damit wir den Abend über mal in aller Ruhe über alles Mögliche reden konnten. Sarah Goldwyn war eine außergewöhnliche Frau. Trotz ihres Alters, immerhin 70, nahm sie noch rege am Leben teil.
Und wie, muß ich dabei sagen, denn sie frönte einem extravaganten Hobby. Der Krimi und der Horrorliteratur. Eigentlich gab es in ihrem Haus nichts, was es nicht gab. Vor allen Dingen Bücherregale, die mit Literatur dieses Genres vollgestopft waren. Sämtliche Horror-Autoren der Welt waren hier vertreten, und die Regale wurden immer wieder aufgefüllt.
Seit es Video-Kassetten gab, sammelte Sarah Goldwyn auch die entsprechenden Filme.
Sie sah sich zuerst den Streifen im Kino an, und wenn er ihr gefiel, kaufte sie sich wenig später die Kassette.
Dreifache Witwe war sie, und jeder ihrer Männer hatte ihr ein kleines Vermögen hinterlassen, das sie zinsgünstig angelegt hatte. Allein von den Zinsen konnte sie ein sorgenfreies Leben führen. Das meiste Geld gab sie für wohltätige Zwecke aus. Sie stiftete für Behindertenheime, für Jugenddörfer und tat etwas für die Gefangenenhilfe, wobei sie auch den Abgeordneten auf die Nerven fiel, denn Sarah Goldwyn ließ nicht locker.
Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb sie auch am Ball.
Wir kannten uns jetzt schon länger und waren uns auf den ersten Blick sympathisch gewesen. Mit dieser Frau konnte man über alles reden. In den Gesprächen mit ihr profitierte ich von ihrer Lebenserfahrung. Zudem war ich gern in ihrem Haus. Es erinnerte mit seinen Möbeln immer an die Zeit des Jugendstils, war gemütlich, ohne kitschig zu wirken. Ich hatte mir auch schon den Speicher angesehen, den Sarah Goldwyn hatte umbauen lassen.
Dort befand sich jetzt ein weiteres Archiv. Die Regale waren der äußeren Form des Speichers angepaßt worden, und es gab noch viel freien Platz, den Sarah sicherlich innerhalb eines Jahres mit Büchern füllen würde.
Zum Essen hatte sie mich eingeladen, und ich muß gestehen, daß Sarah eine ausgezeichnete Köchin war. Sie kochte noch so wie früher, mit viel Fett und nahm dabei keine Rücksicht auf die Figur. Der Gänsebraten bei ihr war hervorragend gewesen, und ich hatte so viel gegessen, daß ich meinen Hosengürtel ein Loch weiter schieben mußte.
Jetzt saß ich im Wohnzimmer auf der Couch und prustete. Mrs. Goldwyn hörte ich in der Küche herumhantieren, das Geschirr klapperte, denn sie räumte ab.
Ich hatte einen Magenbitter vor mir stehen und rauchte eine Verdauungszigarette. Himmel, hatte der Gänsebraten geschmeckt, aber er war auch verdammt mächtig gewesen.
Mit zwei Fingern hob ich das Glas an. Der Magenbitter schimmerte dunkelbraun und besaß auch einen Stich ins Rötliche. Wie dem auch sei, er mußte getrunken werden, obwohl sein Geruch keine Wohltat für meine Nase war.
Ich hob das Glas an, schloß die Augen und öffnete den Mund. Dann kippte ich ihn in die Kehle und schluckte.
Teufel, war das ein Zeug. Ich schüttelte mich wie eine Katze, die aus dem Wasser kam und ihr Fell trocknen wollte. Das war ja direkt widerlich, das Zeug, aber es tat gut. Im Magen breitete es sich aus, erzeugte bei mir erst eine Gänsehaut, bevor das Gefühl besser wurde und ich leicht aufstoßen konnte.
»Was ist mit Ihnen, John?«
Ich hatte Lady Sarah nicht gesehen. Als ich den Kopf drehte, sah ich sie in der Tür stehen und lächeln. Sie trug ein Tablett, auf dem selbst gebackenes Weihnachtsgebäck lag. Ihr graues Haar hatte sie wie immer hochgesteckt, das Kleid war ebenfalls grau mit dunkelroten Streifen.
Mindestens vier Ketten baumelten um ihren Hals, und wenn sich Lady Sarah bewegte, dann klirrte der Modeschmuck aneinander. Echt waren die Dinger nämlich nicht, aber Mrs. Goldwyn hatte nun mal ein Faible für Ketten.
»Ich kann nicht mehr«, gab ich ehrlich zu und breitete die Arme aus.
»Aber mein Junge«, erwiderte sie vorwurfsvoll. »Sie sind noch jung. Ihnen darf so etwas nichts ausmachen. Als ich in ihrem Alter war, da konnte ich noch etwas vertragen. Was haben wir gespeist. In Paris, in Rom, in Wien, ja, das waren Zeiten. Ich sage es ja immer, die heutige Jugend ist verweichlicht.«
»Das ist so eine Sache«, antwortete ich. »Die heutige Jugend ist nicht verweichlicht, sie ist nur ein gutes Essen nicht mehr gewohnt. Schließlich gibt es die
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