0197 - Mörder im Chinesenviertel
Das ist eine der wichtigsten Fragen, die wir in diesem Zusammenhang klären müssen. Bitte, helfen Sie uns dabei! Wann haben Sie Ihren Vater zuletzt gesehen?«
»Vorgestern abend, als ich von der Wäscherei kam. Wir begegneten uns im Hausflur. Er sagte mir, ich sollte mit dem Abendessen nicht auf ihn warten, er müßte ein paar geschäftliche Besuche machen und es könnte spät dabei werden.«
»Was für ein Geschäft betrieb Ihr Vater?«
»Er hatte die Vertretung einiger Schuhfabriken gegenüber dem Einzelhandel.«
»Und seit dieser Begegnung im Hausflur haben Sie ihn nicht wieder gesehen?«
»Nein.«
»Was für Kleidung trug er?«
Sie beschrieb stockend die Kleidung, die der Tote tatsächlich trug. Phil stellte noch eine Unmenge anderer Fragen, aber im Prinzip kam nichts für uns dabei heraus.
»Kann ich meinen Vater nicht sehen?« fragte sie zum Schluß.
»Doch, selbstverständlich. Die Leiche wird spätestens morgen zur Beerdigung freigegeben werden. Sie erhalten von uns noch Nachricht. Sollte Ihnen noch irgend etwas einfallen, was Sie uns noch nicht erzählt haben, rufen Sie bitte diese Nummer an!«
Ich gab ihr meine Karte. Sie steckte sie ein. Phil blieb im Office zurück, damit wir Platz im Wagen hatten, als ich Miß Li-Tschou zu ihrer Wohnung zurückbrachte. Als sie im Hof ausstieg, stand plötzlich ein kräftiger, blonder Mann in dunklen Hosen und blauem Rollkragenpullover neben uns. Er tippte mich an und sagte knurrend:
»Junge, ich gebe dir einen guten Rat: Laß die Finger von dem Mädchen! Kapiert? Ich will dich hier in der Gegend nicht noch einmal sehen! Merk es dir!« Ich wandte mich an das Mädchen. »Wer ist das?«
Er schob sich zwischen uns.
»Ich heiße Jan Vermoeren«, erklärte er im rauhen Akzent der Holländer. »Und jetzt verschwinde!«
»Schon gut, Sie eifersüchtiger Goliath«, grinste ich. »Lassen Sie sich's von Miß Li-Tschou selber erklären, daß ich für Sie keine Gefahr bin. Wiedersehen!« Ich grinste mir eins, stieg ein und setzte den Jaguar ein Stück zurück, um besser wenden zu können. Den eifersüchtigen Holländer beachtete ich schon nicht mehr. Manchmal müßte man eben wirklich ein Hellseher sein…
***
Den Rest des Tages verbrachten wir in der Chinatown. Auch dort sitzen einige Leute, die ihre Augen und Ohren offenhalten und dem FBI bereitwillig Auskunft geben, wenn Fragen auftauchen, die nur von Ortskundigen beantwortet werden können.
Über den jungen Maler erfuhren wir einige charakteristische Züge seines Wesens, aber nichts, was ihn irgendwie belastet hätte. Nachmittags gegen fünf kamen wir ins Office zurück, und kaum hatten wir die Hüte auf den Haken gehängt, da schlug auch schon das Telefon an.
Ich meldete mich. Die Zentrale sagte mir, daß sie mich mit dem Revier der Stadtpolizei drunten in Chinatown verbinden würde. Als die Verbindung hergestellt war, meldete sich die sonore Stimme eines in Ehren ergrauten Revierleiters.
»Hier spricht Captain Morsworth«, dröhnte es durch den Hörer. »Mit wem spreche ich, bitte?«
»FBI, Agent Cotton am Apparat. Was können wir für Sie tun, Captain?«
»Wir haben einen Mann festgenommen, der meilenweit nach Opium stinkt. Ich dachte, das würde das FBI vielleicht interessieren.«
»Und ob uns das interessiert. Wir kommen sofort. Von welchem Revier aus sprechen Sie?«
Er sagte die Hausnummer und den Straßennamen. Unten in der Downtown, von der das Chinesenviertel ja nur ein kleiner Teil ist, spürt man den uralten Charakter der Stadt noch am deutlichsten. Denn dort laufen die Straßen nicht so schön schachbrettartig wie weiter oben, sondern da unten geht's noch kreuz und .quer durcheinander, deshalb gibt es dort auch keine Numerierung der Straßen, sondern jede Gasse hat einen hübschen, mehr oder minder wohlklingenden Namen.
Wir fanden das Revier schnell und machten uns mit Captain Morsworth bekannt. Er war ein kleiner, aber breitschultriger Mann mit einem martialischen Schnauzbart.
»Kommen Sie mit in mein Office, G-men«, sagte er, nachdem er uns die Hände geschüttelt hatte. »Ben, bring dieses Individuum rein in mein Büro!«
»Ja, Sam«, erwiderte ein alter Sergeant, der fast wie ein Zwillingsbruder des Captains aussah.
Das Büro des Revierleiters sah genauso kläglich aus, wie wir es in unseren Revieren schon gewöhnt sind. An der getünchten Wand, die eine neue Farbschicht gebraucht hätte, hing ein Wochenkalender einer bekannten Limonadenfabrik. Das Bild des neuen Präsidenten, das an
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