0197 - Mörder im Chinesenviertel
erwischt und in eine Entwöhnungsanstalt steckt. Wer gab Ihnen denn diesen schönen Tip?«
Der Junge senkte den Kopf. Der trotzige Zug erschien wieder auf seinen Lippen. Phil sprang auf. Er beugte sich vor und rief dem Jungen ins Gesicht: »Geben Sie das Theater auf! Die Opiumgeschichte kaufen wir Ihnen nicht ab! Sie sind verhaftet worden, weil wir Sie wegen Mordes suchen! Das wissen Sie ganz genau! Kommen Sie jetzt nicht mit dem blöden Onj ummärchen! Sie haben wahrscheinlich noch nie auch nur ein Gran Opium gesehen! Sie haben nie eine Pfeife geraucht!«
»Aber doch«, stotterte der Junge kläglich, »ich…«
Phil unterbrach schneidend:
»Von wem haben Sie das Opium bekommen? Wo haben Sie die Pfeife geraucht? Wo die zweite?«
Die Fragen prasselteh auf den Jungen herein wie ein Hagelschlag. Völlig verdattert erwiderte er:
»Ein Chink hat mir das Opium verkauft. Ein Bekannter. Sie werden ihn nicht kennen. Er heißt Li-Tschou…«
***
»Geben Sie's auf, Mrs. Forbydes«, sagte ich ungerührt zu der etwa fünfzigjährigen Frau, die zeternd und kreischend im Büro ihrer Pension vor uns saß. »Wir haben Beweise, und wir haben Zeugen. In Ihrer Pension wird mit Rauschgift gehandelt Opium zum Beispiel.«
Die Frau zog ihren schmuddeligen Morgenrock, den sie abends um sieben trug, als ob sie gerade erst aufgestanden wäre, enger um den fülligen Leib.
»Das ist eine unverschämte Lüge!« zischte sie.
Ihre Nasenspitze war kalkweiß geworden. Die fleischigen Finger waren in ständiger Bewegung. Daß sie ein schlechtes Gewissen hatte, konnte man auf dem ersten Blick erkennen. Wir blufften nur, denn Jim Cacks hatte mit keinem Wort darauf hingedeutet, daß er das Opium in seiner Pension erhalten hätte. Aber wir kannten die Gewohnheiten gewisser Pensionswirtinnen. Einige von ihnen würden für bares Geld dem Teufel ihre Seele verkaufen, warum nicht auch ein paar nicht ganz astreine Geschäfte machen, wenn dabei etwas zu verdienen war?
»Sie brauchen sich wirklich keine Mühe zu geben, Mrs. Forbydes«, wiederholte ich achselzuckend. »Wir wissen, was wir wissen. Da Sie offenbar hier keine Aussagen machen wollen, müssen wir Sie bitten, mit uns zu kommen.«
Sie riß die Augen weit auf. Entsetzt sah sie erst mich, dann Phil an und zu guter Letzt ihre schmuddelige Kleidung.
»Aber«, stieß sie stockend hervor, »Sie haben mir ja noch gar keine Fragen vorgelegt'«
»Wie Sie wollen«, entgegnete ich. »Erste Frage: Wieviel Opium haben Sie hier an ihre Pensionsgäste verkauft?« »Ach, das war aber wirklich nicht der Rede wert«, erklärte sie und wand sich dabei wie ein Aal. »Das sind höchstens ein paar Gramm gewesen. Ich habe nichts dabei verdient.«
»Natürlich nicht«, nickte ich. »Bestimmt nicht!« versicherte sie und versuchte die Miene einer ehrlichen Frau aufzusetzen. Es gelang ihr nicht. »Ich hab‘s nur meinen Gästen zuliebe getan. Es sind ein paar einsame Herren darunter, die abends mal eine Abwechslung haben wollen — und da…«
»Und da haben Sie aus Ihrer Pension bereitwillig eine Opiumhöhle machen lassen! Und nichts dabei verdient! Sie taten alles aus reiner Menschenliebe!«
»Na ja, wenn ich‘s Ihnen doch sage!« Ich winkte ab.
»Schon gut. Wer brachte Ihnen das Opium?«
»Das möchte ich aber doch lieber nicht sagen.«
Ich griff in meine Brieftasche und zog ein Foto heraus, das ich mir eigens für solche Zwecke von unserer Lichtbildstelle hatte anfertigen lassen. Ich legte das Foto vor ihr auf den Tisch. Sie beugte sich vor.
Plötzlich weiteten sich ihre Augen entsetzt. Sie stieß einen spitzen Schrei aus.
»Kein schöner Anblick, was?« fragte ich ungerührt. »So geht es Leuten, die mit Rauschgiften handeln. In diesem Geschäft zählt ein Menschenleben nicht viel. Jedenfalls weniger als etwa ein Pfund Opium. War es dieser Mann, von dem Sie das Zeug bekamen?«
Sie nickte, während sie krampfhaft schluckte, um sich von dem jähen Schreck zu erholen, den ihr der Anblick des toten Chinesen bereitet hatte.
»Wie lange belieferte er Sie schon?«
»Seit vier Monaten.«
»Wieviel Gäste haben Sie hier in der Pension?«
»Neun.«
»Alles Männer?«
Sie nickte stumm.
»Schreiben Sie uns die Namen dieser Männer auf. Dahinter die Zimmernummer. Kreuzen Sie jeden an, der Opium geraucht hat.«
Sie versuchte einen schwachen Protest. Ich beugte mich vor und sagte ihr im liebenswürdigsten Ton:
»Entweder tun Sie, was ich sage, oder wir nehmen Sie auf der Stelle mit und lassen Sie
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