0197 - Mörder im Chinesenviertel
bedeutungsvoll an. Ich runzelte die Stirn.
»Meinst du etwa«, erkundigte ich mich nachdenklich, »daß er einer von den Herzkranken war, für die jede große Aufregung das reinste Gift ist?«
»So sieht es aus«, nickte Phil. »Im Gesicht das Toten konnte man aber geradezu ablesen, daß er in der Sekunde seines Todes eine furchtbare Aufregung durchmachte.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Warum sollte nicht jemand, der von der labilen Herzverfassung des Mannes wußte, absichtlich für eine genügend große Aufregung gesorgt haben? Für eine Aufregung, die bei dem Mann einen Herzschlag verursachte!«
»Ja«, nickte Phil wieder. »Das wäre doch ein Mord, den man kaum wird beweisen können! Der Mörder brauchte sein Opfer nicht zu berühren, er brauchte ihm keine Wunden beizubringen, kein Gift und rein nichts, was man hinterher spielend hätte nachweisen können. Er brauchte ihn nur kräftig zu erschrecken.«
»Stopp«, sagte ich. »Theoretisch ist das möglich. Aber genausogut kann der Mann erschrocken sein, ohne daß jemand seinen Tod damit beabsichtigte. Wir wollen uns nicht in uferlosen Spekulationen verlieren. Zuerst müssen wir einmal herausfinden, wer dieser Mann war, was er trieb, ob er Angehörige hat und so weiter. Dann können wir uns immer noch den Kopf darüber zerbrechen, ob jemand ein Interesse am Tod dieses Mannes haben konnte. Komm, gehen wir zur Vermißtenabteilung!«
Wir fuhren mit meinem Jaguar hin und sprachen mit dem zuständigen Mann. Er sortierte ein paar Meldungen und legte die heraus, die sich auf Chinesen und Japaner bezogen. Plötzlich stutzte er.
»Hier«, sagte er. »Was halten Sie von dieser Meldung? Heute früh um sieben Uhr dreißig beim Revier in Chinatown abgegeben. Vermißt wird seit vorgestern abend der in Chinatown ansässige Handelsvertreter Li-Tschou, dreiundvierzig Jahre alt, US-Bürger, verwitwet, nicht vorbestraft. Die Anzeige erstattete seine Tochter, Miß Li-Tschou, die in einer chinesischen Wäscherei arbeitet. Die Adresse steht hier im Anzeigenprotokoll.«
Er reichte uns das Protokoll über den Tisch herüber. Wir notierten uns die Angaben und vor allem die Anschrift der Wäscherei, in der das Mädchen arbeitete. Danach machten wir uns mit gemischten Gefühlen auf den Weg.
Die Wäscherei lag in der Nähe des Chatham Square, der Besitzer war ein uralter, weißhaariger Chinese, der sich mit der bei Asiaten üblichen Höflichkeit nach unseren Wünschen erkundigte.
»Wir möchten gern mit Miß Li-Tschu sprechen«, sagte ich. »Sie hat bei der Polizei eine Anzeige aufgegeben, daß ihr Vater plötzlich verschwunden sei. Wir kommen in dieser Angelegenheit.«
Er sagte, wir möchten bitte Platz nehmen und einen Augenblick warten. Er wolle die Verlangte rufen. Zwei Minuten später erschien ein junges Chinesenmädchen in einem hellblauen Kittel. In ihrer Art war sie eine aparte Erscheinung mit dem Reiz des Exotischen.
»Guten Morgen. Miß Li-Tschou«, sagte Phil. »Mein Name ist Phil Decker, das ist mein Kollege Jerry Cotton. Wir hörten, daß Ihr Vater plötzlich verschwunden ist?«
»Ja, Sir«, erwiderte das Mädchen sorgenvoll. »Seit vorgestern abend ist er nicht nach Hause gekommen. Wissen Sie etwas von ihm?«
Phil zuckte die Achseln.
»Das können wir so nicht sagen. Haben Sie nicht ein Bild von ihm?«
»Ja, aber nicht hier. Zu Hause.«
Phil zeigte durch das Schaufenster nach draußen, wo der Jaguar rot im Sonnenlicht glänzte.
»Wir haben einen Wagen da«, erklärte mein Freund dabei. »Es würde schnell gehen. Können Sie sich für ein paar Minuten frei machen?«
»Ich werde den Chef fragen«, erwiderte das Mädchen und verschwand hinter dem Vorhang, durch den sie hereingekommen war.
Wir warteten. Es dauerte nicht lange. Als sie wiederkam, trug sie den blauen Kittel nicht mehr, sondern einen schlichten grauen Rock und einen roten Pullover, der die geschmeidige Schlankheit ihrer Figur erkennen ließ.
Mein Jaguar ist die Sportwagenausführung, in der eigentlich nur zwei Mann Platz haben, aber das schlanke Mädchen nahm so wenig Platz ein, daß wir uns ohne große Mühe zu dritt auf die beiden Vordersitze zwängen konnten.
Sie nannte uns die Richtung, und wir standen nur drei oder vier Minuten später im Hof einer vollkommen verschachtelten Ansammlung von Vorder-, Neben- und Hinterhäusern, die ein unübersehbares Gewirr bildeten. Sie waren dermaßen auf-, an- und ineinandergeklebt, daß es sch wer fiel, zu sagen, wo das eine Haus anfing und das andere
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