02 Arthur und der Botschafter der Schatten
seine Worte zu kümmern. Als wir auf der Stadtmauer herauskamen und in den Hof blickten, lag dieser verlassen im Mondlicht. Vom Schatten war keine Spur mehr zu sehen.
Ich lehnte mich gegen die Mauerbrüstung. Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Jetzt müssen wir nur noch hier herunterkommen.«
»Ihr kennt doch den Weg«, grinste Pomet, der offenbar wieder bei bester Laune war.
»Der Getränkekorb? Auf keinen Fall!« Ich schüttelte energisch den Kopf. »Das mache ich nicht noch einmal.«
»Wovon sprecht ihr beiden eigentlich?«, fragte Larissa.
Bevor ich antworten konnte, hörten wir ein Geräusch im Hof. Aus der Tür der Festung traten Pluribus und die Drillinge in den Hof. Wir reagierten nicht schnell genug. Einer der drei riss den Arm hoch. »Da sind sie!«
Sofort rannten sie auf den Turm zu. Damit war unsere kurze Verschnaufpause auch schon wieder vorbei. Mit Pomet vorweg liefen wir über die Stadtmauer in Richtung Hafen.
Die Wolken waren dichter geworden und verdeckten den Mond jetzt fast vollständig. Erste dicke Regentropfen begannen zu fallen. Wir mussten aufpassen, um in der Dunkelheit nicht zu stolpern.
Nach wenigen Minuten erreichten wir die Stelle, an der sich das Ruinengrundstück bis an die Mauer hochzog. Pomet hielt an. »Schnell, verbergt Euch hinter den Ruinen«, drängte er uns. »Ich werde die Verfolger ablenken.«
Wir sprangen über die Mauerbrüstung hinunter auf die Wiese. Kurz vor uns ragte eine einsame Hauswand mit einer leeren Fensteröffnung auf, hinter der wir uns versteckten. Ich reckte meinen Kopf vorsichtig bis zum Fenster. Pomet war bereits weitergelaufen. Trotz der Dunkelheit konnte ich die Umrisse unserer vier Verfolger erkennen, die dem Narren folgten. Erst als sie außer Sichtweite waren, verließen wir unsere Deckung.
Der Regen hatte sich inzwischen in einen Wolkenbruch verwandelt. Wir stolperten über das Ruinengelände und ich rutschte auf dem nassen Gras aus und fiel mit dem Arm auf einen kantigen Stein. Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Schmerzensschrei. Larissa half mir auf, und wir suchten uns vorsichtig unseren Weg zwischen den Hindernissen, bis wir endlich eine Gasse erreichten.
Mein lädierter Arm pochte, ich war klitschnass und hundemüde. Inzwischen war es zwei Uhr morgens und die letzten Nachtschwärmer waren von dem Regenguss vertrieben worden. Wir drückten uns so eng wie möglich an die Häuserwände, die allerdings nicht wirklich Schutz boten. Der Regen ließ erst nach, als wir kurz vor der Kreuzung mit der Gasse ankamen, in der sich der Laden von Lidija Pjorotić befand. Hier schoss das Wasser wie ein Sturzbach in breiten Rinnsalen in Richtung Stradun herunter. Wir überlegten noch, wie wir trockenen Fußes bis zur Ladentür gelangen sollten, als aus dem Schatten eines Torbogens auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse eine Gestalt hervortrat.
Es war Onofre Zafón!
Wie war das möglich? Noch vor wenigen Minuten hatten wir die Drillinge auf der Stadtmauer gesehen, in wilder Verfolgung von Pomet. So schnell konnte keiner von ihnen hierhergelangt sein. Es sei denn ...
Der Vierling – denn das musste er sein – hielt eine Pistole in der Hand. Ich überlegte, ob wir die Flucht wagen sollten, aber da kam er auch bereits über den Wasserlauf gesprungen und stand neben uns.
»Schon überraschend, wen man zu so später Stunde noch auf der Straße trifft«, grinste er hämisch. »Jetzt geht’s in die andere Richtung!« Er machte eine Bewegung mit seiner Pistole.
Es ging denselben Weg, den wir gekommen waren, wieder zurück. »Die statistische Wahrscheinlichkeit für eineiige Vierlinge beträgt eins zu dreieinhalb Milliarden«, bemerkte Larissa trocken. »Und da soll noch mal einer behaupten, ein Sechser im Lotto sei unwahrscheinlich.«
Zumindest hatte sie ihren Humor wiedergefunden. Das beruhigte mich ein wenig.
Der vierte Karasamoff hielt sich einen guten Meter hinter uns. Er hatte sein Mobiltelefon herausgeholt und sprach mit jemandem auf Russisch. Wahrscheinlich informierte er seine Brüder über unsere Gefangennahme.
Er dirigierte uns durch mehrere Seitengassen bis zum Platz des großen Onofrio-Brunnens vor dem Stadttor. Der vor Nässe funkelnde Stradun lag völlig verlassen da. Dies war die Stunde, in der alle schliefen – bis auf Ganoven und die Sucher der Vergessenen Bücher.
An der Bushaltestelle warteten zwei dunkle Limousinen auf uns. Wir wurden von unserem Bewacher auf den Rücksitz des zweiten Fahrzeugs gestoßen. Vorne saßen zwei
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