02 Arthur und der Botschafter der Schatten
erklärte sie im Brustton der Überzeugung, obwohl die Schweißtropfen auf ihrer Stirn etwas anderes verrieten.
Der Maure führte uns durch eine Reihe von Gassen und erzählte hier und da ein wenig zur Geschichte Córdobas. Trotz der Hitze fühlte ich mich von Minute zu Minute besser, und nach einer halben Stunde war ich wieder ganz bei Kräften.
Dabei fielen mir zwei Dinge bei unserem Begleiter auf. Zum einen sein Äußeres: Mit seinen ledernen Sandalen, nackten Füßen und der bauschigen Kleidung stach er unter allen Menschen, denen wir begegneten, hervor. Mir schien, er hätte besser nach Nordafrika gepasst als hierher nach Andalusien.
Meine zweite Beobachtung war eher eine unbestimmte Empfindung. Sie bezog sich auf die Aura, die ihn umgab. Es war ein Gefühl tiefer Einsamkeit, einer unendlichen Weite, die wie ein zu großer Mantel um seine Schultern lag. In seinen dunklen Augen lag eine Sehnsucht, die ich fast körperlich spüren konnte.
Ich schüttelte den Kopf. Was für ein Anfall von Poesie hatte mich denn da überfallen? Unauffällig ließ ich mich einen Schritt zurückfallen, um etwas mehr Abstand zwischen mich und den Mauren zu legen.
»Wir sind jetzt im alten Judenviertel«, erklärte unser Führer, als wir in eine lange Gasse einbogen. »Unter der Herrschaft der Mauren erlebte Córdoba eine bis dahin in Europa ungekannte kulturelle Blüte. Christen, Moslems und Juden lebten nicht nur friedlich miteinander, sondern hatten vielfältige Kontakte untereinander. Hasday ben Shaprut, Oberhaupt der jüdischen Gemeinde, wurde sogar vom Kalifen Abd ar-Rahman II. zum Minister ernannt. Mit dieser Geisteshaltung stieg Córdoba im elften und zwölften Jahrhundert zur kulturellen Hauptstadt Europas auf. Während anderswo noch das finstere Mittelalter herrschte, war dies ein Zentrum für Wohlstand, Handel und Wissenschaft. Von weit her kamen die Menschen, um an der Universität und in der Bibliothek von Córdoba zu studieren.«
Vor uns öffnete sich ein kleiner Platz, in dessen einer Ecke sich eine Bronzestatue befand. Es war ein Mann mit Turban und Spitzbart, der auf einem rechteckigen Steinblock saß. In der rechten Hand hielt er ein Buch; mit der Linken stützte er sich auf dem Stein ab. Er blickte ernst drein, fast ein wenig traurig. Seine Lippen waren voll, seine Stirn in Falten gelegt.
Unser Begleiter blieb davor stehen. Ich beugte mich vor und las die Aufschrift auf dem Sockel. Ben Maimonides stand dort, Teólogo, Filósofo, Médico .
»Maimonides ist einer der vielen großen Denker jener Zeit, die Córdoba hervorgebracht hat«, sagte der Maure. »Er wurde zu einem der meistgelesenen jüdischen Philosophen aller Zeiten, dessen Werke auch von Christen und Moslems studiert und geschätzt werden. Er plädierte für einen aufgeklärten Umgang mit der Religion, so wie Averroes, ein muslimischer Gelehrter der Stadt. Sie beide sind, wie viele andere, ein Beweis für den friedlichen Dialog zwischen den Religionen, der damals in Córdoba stattfand. Ihr könnt die beiden übrigens reden hören, wenn ihr wollt.«
Wir blickten ihn erstaunt an. Er lachte. »Natürlich nicht wirklich. Aber auf der anderen Seite der Puente Romano , der Römischen Brücke, steht ein alter Wachtturm, der Torre de la Calahorra . Er ist heute ein Museum des maurischen al-Andalus, und in einem der Räume gibt es eine Installation mit lebensgroßen Figuren der beiden Philosophen sowie des arabischen Denkers Ibn Arabi und des christlichen Königs Alfons X., genannt der Weise. Man kann ihnen über Kopfhörer zuhören, wie sie ihre Meinungen austauschen.«
Ich warf noch einen letzten Blick auf den jüdischen Gelehrten, während der Maure uns weiter in das Viertel führte. Dabei glaubte ich, aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrzunehmen. Ich blieb stehen und drehte mich um. Außer zwei japanischen Touristen, die ein paar Meter entfernt Fotos von einem der Häuser machten, war nichts zu sehen.
»Was ist?«, fragte Larissa.
»Ich dachte, ich hätte irgendwas gesehen«, sagte ich. »Aber ich muss mich wohl getäuscht haben.«
»Die Searching Eyes können es nicht sein«, meinte sie. »Ich habe vor unserer Abreise noch einmal deren Website besucht; die ist immer noch außer Betrieb.«
Die Searching Eyes waren eine illegale Organisation, die uns im Auftrag der Slivitskys mithilfe von Teenagern in Amsterdam und Haarlem überwacht hatte. Ich erinnerte mich daran, wie Larissa vor einem Jahr einen Virus auf den Webserver von Searching Eyes
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