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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Meyerbeer, der seit dreißig Jahren phantasievolle Loblieder auf ihre Dampfnudeln sang – für geldgierige, gewissenlose Scharlatane hielt. Betsy fiel auf, dass Josepha weder ihr Sonntagskleid noch ihre guten Schuhe anzog, doch sie tat, als merke sie nichts. Die Köchin verließ das Haus mit ihrem Henkelkorb. Zwar kaufte sie montags selten ein, doch schien ihr der Henkelkorb eine gute Stütze für einen Weg, der sie sehr viel mehr beunruhigte, als es jeder Arztbesuch getan hätte. Noch ehe sie die Berger Straße erreichte, beschloss sie allerdings, doch für die ganze Woche einzukaufen. Schließlich machte gerade ein voller Korb den Leuten klar, dass die, die ihn trug, eine große Familie zu versorgen und wahrlich keine Zeit für überflüssiges Geschwätz hatte.
    So geschah es, dass die Köchin Josepha Krause aus der Rothschildallee, in ihrem dreiundsechzigsten Jahre stehend, heftig schnaufend und mit hochrotem Kopf auf dem Frankfurter Arbeitsamt eintraf – Abteilung Hauspersonal. Eingekauft hatte Josepha zwei Kilo Kartoffeln, drei Salatköpfe, Karotten, Zwiebeln, zehn Salzheringe, die in Zeitungspapier gepackt waren, Gewürzgurken und genug Handkäse, um mindestens zwei Familien satt zu bekommen. Der Käse war genau in jenem weit gediehenen Reifezustand, den man in Frankfurt schätzt; auf dem Flur des Arbeitsamts roch er trotz des schützenden Tuchs, das über dem Korb gespannt war, so penetrant scharf, dass Fräulein Krause keine zehn Minuten vor der Tür des zuständigen Beamten zu warten brauchte. Sie war noch ein wenig außer Atem vom langen Weg und der schweren Last, als der Befehlshaber von Zimmer 15, zweiter Stock links, sie laut und naserümpfend zu sich rief. Der Mann trug ein braunes Jackett, das wie eine Uniformjacke gearbeitet war, seine Hose steckte in blank polierten Stiefeln. Er streckte seine schmale Brust vor und scherte sich keinen Deut darum, dass zwei Frauen im Chor – obwohl eingeschüchtert, doch unmissverständlich – darauf hinwiesen, dass sie seit vierzig Minuten warteten und »die da« eben erst gekommen wäre.
    Obgleich sich Josepha wortreich wehrte, musste sie ihren Korb im Flur zurücklassen. Dennoch erwies sich die Unterredung zwischen dem Amtmann Hasenroth und ihr zunächst als nicht so unangenehm, wie sie nach der rohen Trennung von ihrer Habe erwartet hatte. Wilhelm Friedrich Hasenroth, seit fünf Jahren im Beamtenstand, war ein Mann mit trübgrauen Augen und von grauer Gesichtsfarbe. Der Krieg hatte ihm sowohl einen großen Teil seiner Hörkraft als auch seinen gesamten Lebensmut genommen. Wann immer er seine Arbeit an seinen Aufgaben im Krieg maß, missfiel sie ihm; seit der Machtübernahme empfand er die ihm abverlangten Pflichten als eines Mannes nicht ganz würdig, dessen Mut und Eifer an der Westfront mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden waren.
    Ihres Alters wegen bot er Josepha den Hocker an, auf der sonst seine Aktentasche und eine abgenutzte Feldflasche mit kaltem Kaffee lagen. Dem Amtmann war klar, dass solche Rücksichtnahme auf einer deutschen Behörde nicht Brauch war, doch in kleinen Dingen zeigte er sich eigenwillig. So ließ er die Frau, die ihm stocksteif gegenübersaß, grundsätzlich ausreden, obwohl sie seine Fragen in der umständlichen Art alter Leute beantwortete und unangenehm oft auch noch eine Gegenfrage stellte. Der Verkehrston wurde erst beamtenbedrohlich, als Hasenroth von Josepha wissen wollte, ob sie nicht schon mal daran gedacht hätte, sich eine Stelle »bei ordentlichen Deutschen zu suchen«. Auf ihre Reaktion war er trotz seiner langjährigen Erfahrungen mit Leuten aus dem Volk nicht gefasst. Mit einem pferdeähnlichen Lachen, das Hasenroth bei einem Dienstboten als besonders ungehörig und gegenüber einem Beamten als eine Provokation ersten Ranges empfand, stand Josepha auf. Erregt gestikulierte sie mit beiden Händen vor der Beamtennase.
    »Die Sternbergs«, sagte sie so laut und überdeutlich, dass selbst der schwerhörige Amtmann zusammenzuckte, »sind bessere Deutsche als so manch andere Leut’, die heute ihr Maul aufreißen. Ihr Sohn ist für Deutschland gefallen. Gerade mal achtzehn Jahre alt war unser Bub, und ich hab ihm noch ein Paket mit Kuchen und Leberwurst in den Krieg geschickt, aber das hat er nicht mehr gekriegt. Und zum Dank hat man seinem Vater jetzt die Schaufensterscheiben von der Posamenterie und den beiden anderen Geschäften beschmiert.«
    »Ist schon gut«, befand Herr Hasenroth. Es war ihm zuwider, wenn ihm

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