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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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diskutieren, will ich dir auch die volle Wahrheit gestehen. Erwin Sternberg, der um ein Haar ein zweiter Rembrandt geworden wäre, hat sich auf die zionistischen Ideale seiner frühesten Jugend besonnen. Diesmal ohne dass ihm sein Vater mit Enterbung droht. Die Zionisten haben schon früh gewusst, dass Deutschland nicht die Heimat der Juden ist.«
    »Sag nur, du denkst daran, nach Palästina auszuwandern! Ich weiß, dass es das gibt, nur habe ich noch nie jemanden persönlich kennengelernt, der es auch tun will.«
    »Moses. Allerdings hat der es nicht ganz geschafft, aber heutzutage geht man ja die Strecke nicht mehr zu Fuß. Und nicht mehr in Begleitung der Kinder Israels, die nach den Fleischtöpfen Ägyptens jammern. Außerdem ist es noch lange nicht so weit. Weder bei Clara noch bei ihrem Bruder. Johann Isidor Sternberg, ehemals des Kaisers treuester Diener, hätte da ja ein gewaltiges Wort mitzureden. Er hat das Geld, das es kosten wird. Ich nur das Hirn, das man allerdings auch braucht. Seit dem Boykott hat mein Vater mächtig dazugelernt. Er hält junge Zionisten nicht mehr für die jüdische Version des deutschen Wandervogels, und ihm schwant, dass Palästina weit mehr ist als der Schauplatz von Nathan dem Weisen und den tröstlichen Sprüchen von der Gleichheit der drei Religionen. Übrigens haben meine entsprechenden Recherchen ergeben, dass es sich leicht reist, wenn sie dir die Würde und die Ehre genommen haben. Vielleicht ist das auch für dich interessant.«
    »Jetzt beneide ich dich erst recht. Ich habe es in Sachen Zukunftsplanung bisher nur zu drei minderbegabten Damen gebracht, die bei mir dreimal in der Woche Englischunterricht nehmen. Im ersten Moment hielt ich das für das große Los. Immerhin habe ich seit dem Abitur weder Englisch gesprochen noch gelesen, und trotzdem verdiene ich bombig. Nur ungefähr fünfundachtzig Prozent weniger als ein Justizwachtmeister im ersten Berufsjahr.«
    »Du musst zur Ruhe kommen, Fritz, sonst packst du das alles nicht. Du bist immer noch im Schockzustand. Allerdings hab ich leicht reden. Mich haben die Nazis ja nicht um meine Zukunft gebracht.«
    »Wenn du mich fragst, haben sie aus dir einen Mann gemacht, der uns alle beschämt.«
    Am 15. August, auf den Tag genau zwei Wochen nach seinem ersten Brief, machte der Hauswirt seine Drohung wahr; er kündigte Friedrich Feuereisen die Wohnung in der Günthersburgallee – den Doktortitel sowie die in Deutschland selbst für Untergebene übliche Anrede »Herr« ließ er ebenso weg wie den Kündigungsgrund. Fritz war getroffen, aber doch weniger unglücklich als nach dem ersten Brief. Er hatte an nichts anderes mehr denken können als an die astronomische Mieterhöhung und dass er Monat für Monat seine Mutter oder seinen Schwiegervater um Hilfe würde bitten müssen, um die Wohnung halten zu können. »Wir haben die Nieten gezogen«, sagte er beim Abendessen zu Victoria. »Der Mann, von dem du gedacht hast, er wäre das große Los, Vicky, hat sich als eklatanter Fehlgriff entpuppt. Das hast du weiß Gott nicht verdient. Gleich wird dir der Kerl sagen, er will zurück zu seiner Mama.«
    »Komisch, das habe ich mir auch schon überlegt. Also hör auf, dich kleinzumachen. Das hat keine Frau verdient. Jedenfalls kann uns so etwas in der Beethovenstraße nicht passieren. Da hat deine Mutter das Sagen. Ihr gehört das Haus.«
    »Noch.«
    »Hast du nicht immer gesagt, Hausbesitzer werden in ein Buch eingetragen, und das ist endgültig?«
    »Ins Grundbuch. Aber für die Juden in Deutschland ist nichts mehr endgültig. Hitler hat die fließende Rechtsprechung eingeführt.«
    Victorias besonnene, couragierte Reaktion auf die Kündigung der Wohnung, von der sie eine Jugend lang geträumt hatte, erstaunte alle. Ihre Eltern kamen sogar zu dem Schluss, dass Victoria vielleicht doch weniger Schaden durch Tante Jettchens verwöhnende Hand genommen hatte, als von ihnen angenommen. Clara, die sich mehr über die Wohnungskündigung aufgeregt hatte als die Betroffenen selbst, streichelte ihrer Schwester die Wange, was bei Clara, die gegenüber Vicky weit häufiger zu Kritik als zu kosenden Gesten neigte, größtmögliches Lob bedeutete. Ihre Schwiegermutter machte die überraschende Victoria überglücklich mit der Frage: »Was hältst du davon, wenn du jeden Abend deinen obdachlosen Enkeln Märchen erzählen kannst und Mademoiselle Fanny jeden Sonntag Grießpudding mit Himbeersoße auftischst?«
    »Das ist mehr, als ich vom Leben

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