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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die Leute Privates zumuteten, doch für alte Menschen hatte er mehr Verständnis, als derzeit politisch genehm war. Seine Mutter war fast neunzig und nicht davon abzubringen, vom »Kaiser Hitler« zu sprechen und in der Metzgerei »Guten Morgen, heil!« zu sagen. Nur – als deutscher Beamter war Wilhelm Friedrich Hasenroth es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. Es kränkte ihn besonders, dass dies ausgerechnet eine Köchin wagte, die bald von der Zeit ihre Quittung erhalten würde. Verdrossen ordnete Hasenroth die Stempel auf seinem Schreibtisch, er hauchte dem Stempelkissen Leben ein und säuberte seine Hände an einem blauweiß karierten Taschentuch. Dann holte er seine Butterbrotdose aus der Aktentasche und nickte in Richtung Tür. »Wir sehen uns wieder«, wusste er. »Und beim nächstes Mal erwarte ich mehr vaterländisches Verständnis von Ihnen, Fräulein Krause. Ach ja, was ich Sie noch fragen muss: Ist es schon vorgekommen, dass Ihr Chef Sie belästigt hat?«
    »Das können Sie mir glauben! Dem fällt beim Essen immer die Serviette vom Schoß, und ich hab’s in den Knien.«
    »Ich meinte geschlechtlich, Fräulein Krause«, erläuterte der Amtmann. »Von den Juden erzählt man sich gerade in dieser Beziehung Dinge, die einem Christenmenschen widerstreben in den Mund zu nehmen.«
    »Herr Sternberg ist dreiundsiebzig und hat sechs Kinder, und ich habe seit Jahren vergessen, wie’s geht.«
    Josepha hatte kein Talent, Begebenheiten wiederzugeben, und schon gar nicht das dafür nötige Gedächtnis für Gespräche und Situationen. Jedoch den letzten Satz, der zwischen ihr und Amtmann Hasenroth gesprochen wurde, merkte sie sich. Wort für Wort. Selbst Claudette, nur noch in den Vorstellungen von Menschen, die die neue Zeit verschont hatte, ein argloser Backfisch, prustete sich in die einstige Jungmädchenseligkeit: »Mann, wäre ich da gern dabei gewesen!«
    Die wohltuende Atempause zwischen einer Hoffnung ohne Anlass und dem permanenten Schrecken mit Anlass überdauerte noch nicht einmal die Woche. Am Freitag erhielt Doktor Friedrich Feuereisen, nun weder Rechtsanwalt noch Notar und nahezu ohne Einkommen, es sei denn, seine ehemaligen Mandanten zahlten die noch ausstehenden Honorare aus freien Stücken, einen Brief von seinem Hauswirt. Ab dem 1. August 1933, ließ der Mann der Macht wissen, erhöhe sich die Miete für die Wohnung Feuereisen um vierhundertundfünfzig Mark. »Zudem weise ich Sie auf allgemeinen Wunsch meiner Mieter darauf hin, dass Sie keine Genehmigung haben, einen Kinderwagen im Hausflur abzustellen, und dass Tierhaltung in meinem Hause verboten ist. Mithin bedeutet der Sie regelmäßig besuchende Hund namens ›Snipper‹ einen böswilligen Verstoß gegen die Vorgaben Ihres Mietvertrags. Auch die Einhaltung der Mittagsruhe zwischen ein und vier Uhr ist mit allem Nachdruck anzumahnen. Meine langjährigen Mieter haben sich wiederholt über das laute Kindergeschrei beschwert, das gerade in den Mittagsstunden aus Ihrer Wohnung zu vernehmen ist. Sollten Sie da keine Abhilfe schaffen, ist das weitere Bestehen Ihres Mietvertrags ernsthaft infrage zu stellen.«
    »Früher«, sagte Fritz erschöpft, »hätte ich dem Kerl zurückgeschrieben: Ich habe meinem einjährigen Sohn Ihren Brief vorgelesen, und er hat sich eidesstattlich verpflichtet, jegliche Unmutsäußerungen in den von Ihnen angegebenen Zeiten zu unterlassen. Aber jetzt muss ich meiner Frau klarmachen, dass unsere Tage in der Günthersburgallee gezählt sind. Mensch, Erwin, du glaubst gar nicht, wie oft ich dich beneide. Glühend beneide. Du hast keine Familie, die dich braucht. Du bist nur für dich selbst verantwortlich.«
    »Mit Vicky wäre ich ohnehin nicht verheiratet. Ich hätte gar nicht die Kraft, ihr die Träume und Flausen aus dem hübschen Kopf zu trommeln, die einen Mann um seinen Verstand bringen. Aber du täuschst dich, wenn du mich für einen freien Mann hältst, Fritz. Es stimmt, dass mich keine Frau aufs Standesamt gekriegt hat. Mir wird nämlich nie eine näherstehen als Clara. Und gerade deshalb muss ich für sie sorgen. Für sie und ihre Tochter. Ich glaube, das steht schon so in der Bibel. Gott lässt es also nicht zu, dass ich vom Dom springe oder Zyankali schlucke, ehe Clara und Claudette wieder eine Zukunft haben.«
    »Und woher soll in diesem Land eine Zukunft kommen?«
    »Ich sprach nicht von unserem Vaterland, dem teuren. Nur wenn du mich schon so anschaust, als würde es sich lohnen, mit mir über das Wort zu

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