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02 Die Kinder der Rothschildallee

02 Die Kinder der Rothschildallee

Titel: 02 Die Kinder der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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in Richtung Victoria und schüttelte den Kopf. »Wann wirst du endlich erwachsen werden?«, fragte er irritiert, doch schon am nächsten Tag steckte er seinem Schwiegersohn eine beträchtliche Geldsumme zu, die dem zwar sehr peinlich, doch ebenso willkommen war. Fritz hatte das Gespräch mit Erwin nicht vergessen und selbst das Bedürfnis, Victoria und die Kinder für eine Weile aus Frankfurt herauszubringen. Viele Männer, die in der gleichen Lage waren wie er, hielten es so: Sie wähnten sich ohne ihre Frauen freier, die unangenehmen Entscheidungen zu treffen, denen sie nicht mehr ausweichen konnten. Ohne dass sie ihren Frauen umgehend Rechenschaft zollen mussten, hielten sie Ausschau nach beruflichen Schlupflöchern, an die zu denken sie schon beschämte. Einige von den jüngeren jüdischen Männern, in erster Linie die Juristen, dachten an neue Existenzen in Holland, Frankreich oder der Tschechoslowakei, doch es fiel ihnen leichter, sich als Vertreter für Schnürsenkel in Prag vorzustellen, als die verwöhnten höheren Töchter einzuweihen, die sie in guten Zeiten geheiratet hatten.
    Betsy gab sich ungewöhnlich viel Mühe, die aufgebrachte Clara zu besänftigen. »Ich kann verstehen, dass sie mal rauswill. Vor allem mit den kleinen Kindern und dem Umzug. Schon allein das Einstellen der Möbel ist eine Sisyphusarbeit gewesen.«
    »Mich schickt keiner nach Baden-Baden, damit meine Tochter hier nicht mehr als nötig leidet. Und Claudette kriegt mehr mit als die ahnungslose Fanny, das kannst du mir glauben.«
    »Gegen Eifersucht hilft keine Reise, Clara. Ich hätte dich bis zum Mond reisen lassen, wenn es deinem Herzen und deiner Seele geholfen hätte. Und vielleicht machst du dir doch endlich mal klar, dass du es bist, die darauf besteht, dass Claudette weiter in die Schule geht. Du bist diejenige, die sie täglich Spießruten laufen lässt. Deinem Vater brichst du damit das Herz.«
    Waren es nur Kinderträume, die Victoria zurück nach Baden-Baden lockten? Auf alle Fälle waren es Träume, die wenigstens für eine kurze Zeitspanne den Schmerz und den Schock des Jahres 1933 lindern halfen. Der beliebte, sommermilde Kurort in seiner idyllisch schönen Umgebung war nämlich die erstaunliche Ausnahme von der grausamen deutschen Wirklichkeit. Victorias Freundin Susi Kleinmann hatte absolut nicht übertrieben. Als sie mit ihren Kindern im Kurpark die herbstliche Sonne genoss, unter den Kolonnaden flanierte und dabei von den Häusern keine Hakenkreuzfahnen wehten und keine braunen Burschen auf den Straßen marschierten, die Nazilieder grölten, die das Herz vereisten, hatte sie wirklich gut schreiben: »Hier gibt es gewisse Leute nicht. Das Leben ist noch wie früher.«
    Aus der Ferne war auch Johann Isidor Sternberg informiert, ebenso gut wie im Jahr 1914. Damals hatte sich der Posamentier Sternberg für eine Kur mit den Seinen in Baden-Baden entschieden, weil man dort weltoffener war als anderswo und die Hoteliers nicht nach der Konfession der Gäste fragten, ehe sie ihre Zimmer vermieteten. »Und das hat sich nicht geändert«, erklärte Johann Isidor seinem Schwiegersohn. »Sagen wir, noch nicht. Du kannst Victoria und die Kinder beruhigt reisen lassen. Baden-Baden kann sich vorerst nämlich den Antisemitismus nicht leisten. Im Übrigen nehme ich an, es wird auch preiswerte Unterkünfte geben. Dies für den Fall, dass meine Frau Tochter dir einreden will, sie kann nur im Badhotel Zum Hirschen wohnen. Ich habe immer gefunden, Damen mit einem guten Gedächtnis sind gefährlich kostenträchtig.«
    Die Baden-Badener Spielbank, unter Kaiser Wilhelm I. geschlossen, hatte soeben ihre Konzession zurückerhalten. Die Hotels setzten ebenfalls auf die Devisen bringenden Gäste aus dem Ausland, und die wollte man nicht durch die antisemitischen Hetzparolen schockieren, die in anderen Kurorten unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Tagesordnung geworden waren. Wie in den goldenen Zeiten der Kaiserinwitwe Augusta, die lieber in Baden-Baden kurte, als in Potsdam zu residieren, standen nur Blumenkübel vor den Hotels und Pensionen. Es gab nicht an ihrer Statt, wie in den Nordseebädern, Aushänge, die wissen ließen: »Israeliten sind nicht erwünscht« oder »Wir sind judenfrei«. In keinem Baden-Badener Tanzcafé und erst recht nicht im Kursaal war zu lesen: »Die deutsche Frau tanzt mit keinem Juden.«
    Baden-Baden mit der großen Vergangenheit, die Kaiser und Könige, Millionäre und Mäzene, Dichter

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