02 - Die ungleichen Schwestern
hat mich dann in eine Rauferei im
Green Park verwickelt, weil ihr Lakai angegriffen wurde.«
»Du
weißt schon, dass du auf der Hut sein solltest«, meinte Mr. Nevill. »Du läßt
dich doch sonst nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen. Bist du sicher, dass
Jane Hart nicht das gewisse Etwas hat, das . ..?«
»Schau
nur«, unterbrach ihn Lord Tregarthan. »Ist das nicht ein ulkiger Kerl? Seine
Halsbinde ist so hoch, dass er nicht ein ulkiger Kerl? Seine Halsbinde ist so
hoch, beim Gehen zum Himmel hinaufschauen muss.«
Mr.
Nevill begann zu lachen, und die Frage, was Jane Hart so anziehend machte, war
schon vergessen.
Lord
Tregarthan war sich zwar ziemlich sicher, dass Jane selbst keinen Heiratsantrag
erwartete, aber ihre Mutter war
ein
anderes Kapitel. Er beschloss deshalb, noch am selben Abend eine kurze
Mitteilung an Mrs. Hart zu schicken, dass die Angelegenheit, die er mit Mr.
Hart besprechen wolle, geschäftlich sei. Er rief seinen Butler und überreichte
ihm den Brief, sein Butler übergab ihn dem ersten Lakaien, der ihn wiederum an
den zweiten Lakaien, Abraham, weitergab, und Abraham machte sich in die Clarges
Street auf.
Er war
ein junger Mann, der erst kürzlich in den Haushalt Lord Tregarthans eingetreten
war. Er war groß und sah gut aus, aber er war noch unerfahren und ländlich
unbefangen und von den geschliffenen Manieren der Londoner Diener tief
beeindruckt. Er traf auf Rainbird, der auf den Eingangsstufen von Nummer 67
stand und frische Luft schnappte. Wenn er sein Anliegen gleich vorgebracht
hätte, wäre der Brief vielleicht angekommen, aber da er sich unter Rainbirds
wohlwollenden Blicken behaglich fühlte, erzählte Abraham, er gehöre zum
Haushalt von Lord Tregarthan und sei erst kürzlich in die Hauptstadt gekommen.
So gab ein Wort das andere, und bald gestand Abraham ein, wie sehr er sich vor
der großen Welt fürchte, und Rainbird gab ihm verschiedene Tips, wie er sich
verhalten müsse.
In dem
Moment hörte man in der Küche unter ihnen eine hitzige Auseinandersetzung, und
Rainbird bat den jungen Lakaien die Außentreppe hinab, da er die Angelegenheit
im Nu bereinigen werde. Es stellte sich heraus, dass die Ursache für den Streit
Josephs Kater war. MacGregor drohte, ihn zu köpfen. Jenny und Alice schrien,
das Tier habe den bösen Blick und sie würden einen Besen fressen, wenn es keine
Flöhe habe, Joseph drückte die Katze an die Brust, Mrs. Middleton war vor
Entsetzen den Tränen nahe, und Dave ergriff fröhlich abwechselnd mal die eine,
mal die andere Partei. Lizzie stand etwas abseits von dem Streitgeschehen und
überlegte, wie sie Joseph am besten helfen könnte.
Die
Freiheit, mit der der Meinungsaustausch in größter Lautstärke vor sich ging,
erstaunte Abraham, der an die steife Förmlichkeit der Dienerschaft in Lord
Tregarthans Haus gewöhnt war. Er war der Ansicht, dass Alice das schönste
Hausmädchen sei, das er je gesehen hatte, und wenn sie die Katze nicht wollte,
dann musste die Katze verschwinden. So kam es, dass sich auch Abraham freudig
an dem Streit beteiligte.
Lizzie
holte still eine Untertasse Milch und ein paar Fleischbrocken. Sie nahm Joseph
vorsichtig den Kater ab und trug ihn in eine Küchenecke, wo sie sich schützend
neben ihn kauerte, während er seine Mahlzeit verzehrte. Lizzie fand, dass die
Katze seltsam aussah, eher wie ein wildes Tier als eine Hauskatze. Aber wenn
Joseph sie liebte, wollte sie sie auch lieben.
Bald
begannen die Glocken zu klingeln. Mrs. Hart, er- staunt, verwirrt und
überglücklich über Lord Tregarthans Anliegen, hatte sich Janes Bericht über den
Vorschlag des Beaus, bei Leonie schneidern zu lassen, angehört und war
ausgegangen, um diese Person auf der Stelle aufzusuchen. Sie hatte Jane, Euphemia
und Felice mitgeschleppt. jetzt war sie zurück, und da weder Rainbird
bereitgestanden hatte, um ihr die Tür zu öffnen, noch Joseph, um die Pakete
hereinzutragen, betätigte sie abwechselnd die Glocken im vorderen und hinteren
Salon, wobei sie von einem Zimmer in das andere schritt und so fest an den
Glockensträngen zog, dass die Glocken an der Küchenwand beinahe aus den
Drahtschlingen ,sprangen. Die Katze war vergessen, als die Diener an ihre
Posten eilten.
Abraham
verabschiedete sich gutgelaunt und versprach, wiederzukommen. Er ging durch die
Abenddämmerung zurück und beglückwünschte Sich, dass er neue Freunde gefunden
hatte. London war für ihn kein so feindseliger und fremder Ort mehr wie bisher.
Erst als er wieder im
Weitere Kostenlose Bücher