02 - Die ungleichen Schwestern
Essraum der Diener in Lord Tregarthans Haus war und
barsch gefragt wurde, ob er die Botschaft übermittelt habe, fiel ihm ein, dass
sie immer noch in seiner Rocktasche war. Die Angst, seine Anstellung zu
verlieren, veranlasste ihn zu sagen: »Ja.« Er würde schon einen Weg finden,
sich später davonzustehlen und sie abzugeben.
Aber er
wurde angewiesen, das Silber zu putzen, dann musste er die Lampen Säubern, dann
musste er Kohlen schleppen, denn der Abend war kühl geworden, dann kam Mylord
zu einem späten Abendessen nach Hause, und er musste sich in seine beste Livree
werfen, sein Haar pudern und seinen Standplatz im Speisezimmer einnehmen.
Danach
wurde das Haus für die Nacht versperrt, und er musste die Hoffnung, den Brief
in die Clarges Street bringen zu können, aufgeben.
Siebtes Kapitel
Euphemia war
haargenau so neidisch, wie es sich Jane immer erhofft hatte, und Jane musste
feststellen, dass sie es nicht die Spur genoss.
Die
ältere Schwester bestand darauf, Jane in ihrem Zimmer aufzusuchen, bevor sie zu
Bett ging, um ihr all die übermütigen Abenteuer des Draufgängers Tregarthan zu
erzählen, die sie dem Marquis of Berry entlockt hatte, obwohl Jane sie gar
nicht hören wollte. Was der Marquis Euphemia allerdings verschwiegen hatte,
war, dass der Beau erst kürzlich aus dem Krieg heimgekehrt war, und so blieb
Jane nur das Bild eines Lebemannes, der mit der gleichen Begeisterung alle
möglichen rohen Sportarten betrieb, wie er jede Modetorheit in der Hauptstadt
mitmachte.
»Du
tust mir wirklich leid, Jane«, sagte Euphemia zuckersüß, als sie auf die Tür
zuging.
»Nein,
das ist nicht wahr«, erwiderte Jane beherzt. »Du bist bloß neidisch, weil dein
Verehrer alt ist und wie eine Wespe aussieht, während mein Lord Tregarthan ein
Adonis ist.«
Aber
Euphemias Gift hatte bereits gewirkt. Jane lag voller Schrecken wach. Wenn sie
sich mit Lord Tregarthan verloben Sollte, würde man von ihr erwarten, dass sie
sich küssen und umarmen ließe. Aber wie würde das sein? Männer hatten solch
brutale Begierden - jeder wußte das.
Ihre
Gouvernante hatte, kurz bevor ihre Dienste für nicht mehr notwendig erachtet
wurden, mit ihr über dieses Thema gesprochen. Sie hatte gesagt, es gebe einige
Dinge, die eine Lady ertragen müsse, um ihrem Gatten einen Erben schenken zu
können. Eine Lady genieße diese Dinge selbstverständlich nicht. Sie müsse eben
ganz fest die Augen schließen und ans Vaterland denken.
Euphemia
schien das hinzunehmen, aber Jane hatte laut protestiert. Wieso gab es dann
alle diese Liebesgedichte und Romanzen, wenn die ganze Sache so unangenehm war?
Liebesgedichte
und Romanzen handelten immer von der Zeit der Werbung, hatte die Gouvernante
ernst gesagt. Das seien die wahren und einzigen Flitterwochen für eine Frau.
Kinderkriegen stehe auf einem ganz anderen Blatt.
So
drehte und wälzte sich Jane unruhig im Bett herum, und die ganze Freude
darüber, dass sie zu einer hinreißenden Schneiderin mitgenommen worden war, und
der Spaß an ihrem neuen modischen Haarschnitt waren ihr vergällt. Sie wünschte
sich von Herzen, Lord Tregarthan würde es sich anders überlegen, und vergaß
dabei ganz, dass er sich ihr ja noch nicht einmal erklärt hatte. Plötzlich war
von ganz tief unten im Haus ein Schrei zu hören. Mit zitternden Fingern zündete
sie ihre Nachttischkerze an und ging, die Hand schützend vor die Flamme
haltend, zu ihrer Zimmertür und öffnete sie.
Der
Schrei war wieder zu hören, diesmal lauter.
Im
Dachgeschoß klappte eine Tür, und Rainbird kam, nur mit seinem Nachthemd
bekleidet, die Treppe herab.
»Es ist
Lizzie«, sagte er, »das Küchenmädchen. Gehen Sie zurück ins Bett, Miss Jane.«
Man
hörte dumpfe Geräusche aus dem Dachgeschoß, als die anderen Diener aufstanden.
Zu wach
und zu neugierig, um ins Bett zurückzugehen, folgte Jane Rainbird die Treppe
hinunter.
Sie
betrat direkt hinter ihm die Küche.
Lizzie
stand im Nachthemd auf dem Küchentisch. Ihre Augen waren schreckensweit
geöffnet. Als sie Rainbird sah, deutete sie mit zitterndem Finger auf den
Boden.
Rainbird
hielt seine Kerze hoch.
Vor dem
Herd lagen säuberlich aufgereiht drei tote Ratten, fünf tote Mäuse und ein
großer Haufen toter schwarzer Käfer. Daneben stand, mit dem Schwanz schlagend,
Josephs Kater.
Rainbird
fing an zu lachen.
»Komm
runter, Lizzie«, sagte er, stellte seine Kerze ab und hob das zitternde Mädchen
vom Tisch. »Die lieben Tierchen sind alle tot.«
Joseph
und MacGregor
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