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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Zwischenzeit war es meine Aufgabe, das Skript anhand des Lord-Chamberlain-Exemplars umzuschreiben.
    »Übrigens«, hatte Richard gesagt, »lassen Sie sich nicht davon abhalten, andere Songs meines Vaters einzubauen, wenn Sie es für passend halten.«
    Das Skript eines Musicals teilt sich in drei Bereiche auf: Musik, Liedtexte und Buch. Als Buch könnte man alles betrachten, was nicht Musik ist und auch nicht Liedtexte – mit anderen Worten Dialoge und Story. Niemand besucht ein Musical wegen des Buchs, da geht man lieber gleich in ein Theaterstück. Andererseits ist das Buch aber auch das Rückgrat eines Musicals. Wie das Rückgrat wird es nur wahrgenommen, wenn es aus dem Lot gerät, und wie ein Rückgrat stützt das Buch den gesamten Rahmen und übermittelt die Signale, Botschaften und Impulse, die es dem Körper ermöglichen,zu fühlen, sich zu bewegen und sich auszudrücken. Die großen Komponisten Sondheim, Rogers, Porter und der Rest haben immer darauf bestanden – und in der Tat ist dieses Insistieren eines der Klischees des Musiktheaters –, dass alles auf dem Buch aufbaut. Das Publikum singt nicht das Buch mit, niemandem verschlägt es den Atem, niemand klatscht oder ist entzückt über das Buch, aber ohne es hat man nichts. Es gibt viele unentbehrliche Jobs auf der Welt, denen die Menschen nur wenig Beachtung schenken, und das Buch für ein Musical zu schreiben zählt zu den am wenigsten mühevollen und gleichzeitig bestentlohnten Jobs von allen.
    1983 wusste ich von einem Musical-Buch genauso wenig, wie ich wusste, dass ein »ball change« ein Schritt beim Steptanz ist und ein »torch song« ein sentimentales Liebeslied. Tatsächlich hatte ich nicht die geringste Ahnung von Musicals. Ich war Mitte zwanzig und hatte gerade erst anderthalb Jahre zuvor mein Universitätsstudium abgeschlossen. Bei Bedarf konnte ich tagelang über Shakespeare, Ibsen, Beckett oder Tennessee Williams schwafeln. Mein Wissen über die Geschichte und die Helden der Radio- und Fernseh-Comedy war fundiert, zumal es sich bei dem Metier trotz der kläglichen Resonanz auf
Alfresco
um meinen Beruf handelte. Ich kannte mich gut im Kino aus, besonders bei den Filmen von Warner Brothers aus den dreißiger und vierziger und den britischen Filmen aus den vierziger und fünfziger Jahren. Meine Kenntnisse über die Musical-Klassiker und über das Opern-Repertoire waren annehmbar, und ich kannte die Songs von Porter, Kern und Gershwin sehr gut. Aber nur wenige der Musicals, für die diese Songs geschrieben worden waren, hatte ich auch gesehen. Die geheime Wahrheit bestand darin, dass ich dasgesamte Genre eher geringschätzte. Ausnahmen machte ich für
Cabaret, My Fair Lady, West Side Story
und
Guys and Dolls
, die ich als Filme und auf Schallplatten kannte und von denen ich viel hielt.
Singin’ in the Rain, Mary Poppins, Oliver!
und
The Sound of Music
kannte und achtete ich nur als Filme und … nun, das war es eigentlich auch schon, abgesehen von den gelegentlichen Sonntagnachmittagvorführungen eines Klassikers von Fred Astaire oder Gene Kelly auf BBC 2.
Cats
wurde im West End bereits seit anderthalb Jahren gespielt, aber ich hatte es noch nicht gesehen. Immer noch nicht. Ich muss es endlich mal nachholen. Desgleichen
Les Misérables, The Phantom of the Opera
und
Miss Saigon
und all die anderen, die gekommen sind und gegangen und seither auch wiedergekommen sind. Ich bezweifle nicht, dass mir etwas entgangen ist.
    Der Regisseur Mike Ockrent, der sich hauptsächlich dadurch einen Namen gemacht hatte, dass er neue Theaterautoren auf den weniger namhaften Bühnen Englands und Schottlands vorstellte, war in der Welt der Musicals noch weniger zu Hause als ich. Aber während wir an dem Skript für
Me and My Girl
arbeiteten, entdeckten wir sehr bald, dass wir es mit einem Projekt zu tun hatten, das dem Broadway und Hollywood nichts verdankte, sondern alles der Music Hall. Ob die Wiederaufführung Erfolg hatte oder nicht, würde davon abhängen, inwieweit ein modernes Publikum bereit war für den Slapstick, die Albernheiten und die schwungvolle Dreistigkeit, die der späte Stil der Music Hall verkörperte.
    Als ich mich von Fassung zu Fassung quälte, erteilte mir David Aukin einen unschätzbaren Rat. Viele Jahre lang hatte er dem Hampstead Theatre vorgestanden, wo er Mike Leighs legendäres Stück
Abigail’s Party
aus derTaufe gehoben hatte und zudem so manches neue Stück von Dennis Potter, Michael Frayn, Harold Pinter und vielen anderen. Als er

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