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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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von Simons Stück beruht auf einer Redewendung, die geprägt und benutzt wurde als Titel einer Sammlung von Essays des Kritikers und Gelehrten F. R. Leavis, der eine Richtung der englischen Literaturwissenschaft begründet hatte, deren große Ernsthaftigkeit, ausdrückliche Berücksichtigung von Einzelheiten und betont moralische Anliegen legendär waren. Simon Gray hatte bei Leavis in Cambridge studiert und blieb stark von ihm beeinflusst. Ich selbst hielt Leavis immer für einen pharisäerhaften Mistkerl von höchstens provinzieller Bedeutung (da spielt wohl meine eigene Pharisäerhaftigkeit als Studienanfänger eine Rolle, wie ich jetzt einsehe), und bei meiner Ankunft in Cambridge war sein Einfluss bereits geschwunden, denn er undseinesgleichen waren beinahe total in den Schatten der Pariser Poststrukturalisten und ihrer Karawanserei aus weitschweifigen und unergründlichen Evangelisten und glühend dogmatischen Akolythen geraten. Geschichten darüber, wie Frank Leavis und Queenie, seine Xanthippe von Ehefrau, jeden, der ihnen gegen den Strich ging, brüskierten, ächteten, ausstießen und verleumdeten, machten die Runde, und jene englischen Gelehrten an der Universität, die sich in ihrem Dunstkreis befunden hatten, wurden von der akademischen Elite herzlos als verblichene Leavisiten abgeschrieben.
    Leavis’ ausgeprägte und suspekte Neigung, vor Zorn zu explodieren und jeden, der es wagte, anderer Meinung zu sein, mit einem Bann zu belegen, erlebte ich auch bei Harold Pinter, dessen enge, aber schnell spannungsgeladene Freundschaft mit Simon Gray und Simons Frau Beryl für mich und besonders für John Sessions, die wir beide glühende Verehrer und Kenner literarischer Exzentrizität waren, zur ewigen Quelle des Vergnügens wurde. Ich erinnere mich, wie John und ich im Hinterzimmer der Brasserie des Groucho Club saßen und Harold, seine Frau, Lady Antonia, Beryl und Simon an einem Ecktisch Platz genommen hatten. Plötzlich erscholl Harolds dröhnende Stimme: »Wenn du in der Lage bist, dergleichen zu sagen, Simon Gray, ist absolut klar, dass unserer Freundschaft jede Basis genommen ist. Wir gehen.«
    Wir linsten um die Ecke und sahen, wie sich Harold mit wuchtiger Schwarzer-Rollkragen-Würde erhob, eine Zigarette ausdrückte, den letzten Schluck Whisky hinunterkippte und dann knurrend an uns vorbeirauschte. Seine wuchtige Würde erschlaffte, als er feststellen musste, dass die getreue Pakenham-Hündin ihm nichtauf dem Fuß folgte. Er drehte sich um und bellte durch den Raum: »Antonia!«
    Lady Magnesia Fridge-Freezer, wie Richard Ingrams sie mit Vorliebe nannte, riss sich aus dem Schlaf. (Sie wehrte sich gegen Harolds irrwitzige Wutanfälle, indem sie einfach einschlief. Das brachte sie während des Essens genauso fertig wie mitten in einem Satz. Es handelte sich wohl um eine traumatische Symplegie, ein Leiden, das nur den Katzen bei P. G. Wodehouse bekannt ist, meiner Ansicht nach aber das meint, was wir heute als Narkolepsie bezeichnen.) und griff in aller Ruhe zu ihrem Mantel. Inzwischen beobachteten sämtliche Gäste im Hinterzimmer neugierig die Szene und hatten großes Vergnügen an den peinlichen Textaussetzern, den gefühlsgeladenen Blicken und den aggressiven Wortwechseln, die man mit dem authentisch Pinteresken assoziiert. Antonia lächelte den Grays engelhaft zu und ging, um sich ihrem Mann anzuschließen. Als sie an unserem Tisch vorbeikam, blieb sie stehen und zupfte an loser Wolle auf der Schulter meines Pullovers.
    »Oh, was für ein hübscher Pulli«, sagte sie und nestelte noch einen Moment daran.
    »Antonia!«
    Und sie schwebte davon. Ich könnte mir die Überzeugung einreden, dass im Raum lauter Applaus ausbrach, aber ich glaube, da wäre doch wohl der Wunsch der Vater des Gedankens.
    Ich greife das Thema Leavis auf, weil die moralische Ernsthaftigkeit, die er dem Literaturstudium aufpfropfte, bei Simon Gray auf eigenartige Weise ihre Spuren hinterlassen hatte. Ich erinnere mich an einen Abend in der Bar des Watford Palace Theatre. Wir hatten das Stück ungefähr eine Woche lang gespielt und warenauf dem Weg, es auf eine Westend-Bühne zu bringen. Die Aufführung an jenem Abend war ein großer Erfolg gewesen, und hinterher präsentierte Simon einige Anmerkungen, die er auf Eintrittskarten und Taxiquittungen gekritzelt hatte, während er hinter der Bühne stand und seinen Glenfiddich schlürfte. Wir waren guter Stimmung. Mit einem Seufzen erwähnte er, wie jung wir doch alle seien.
    »Erinnern

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