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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Schuldgefühlen freier Hinnahme dieser Sucht. Nein, es war mehr als nur von Schuldgefühlen freie Akzeptanz: Zigaretten waren wie Banner, die man stolz hisste. Einwände gegen das Rauchen waren in Simons Sicht verachtenswert und bürgerlich. Wir wurden ständig in heftige Auseinandersetzungen verwickelt, wenn er sich in Minitaxis eine ansteckte oder gar in den Bereichen von Theatern oder öffentlichen Räumen, die schon in jenen Tagen den Nichtrauchern zugestanden wurden. Die Tagebücher, die er schrieb und in den Achtzigern, Neunzigern und bis hinein in die Nuller veröffentlichte, offenbaren ihn als fatalen Fürsprecher des Tabakgenusses, der sich streitlustig durch eine zunehmend intolerante und feindselige Welt boxt. Die Titel seiner letzten Tagebücher drücken das deutlich aus –
The Smoking Diaries Vol. 1, The Smoking Diaries 2: The Year of the Jouncer
und
The Last Cigarette: Smoking Diaries 3
.
    Natürlich kann sich der Körper chronischer Angriffe durch Alkohol und Tabak nur eine gewisse Zeitlang erwehren. Für Simon kam die Zeit, zuerst das eine und dann das andere aufzugeben.
     
    Wir schreiben das Jahr 2006, und ich befinde mich in einer ruhigen Straße im Wohngebiet von Notting Hill. Wir drehen einen Dokumentarfilm über die manisch-depressive Krankheit. Der Regisseur Ross Wilson stellt die Kamera am Ende eines langen geraden Gehsteigs auf. Ich gehe zum anderen Ende, drehe mich um und warte auf sein Stichwort. Ich habe nichts anderes zu tun, als der Kamera entgegenzugehen. Ich brauche weder zu schauspielern noch etwas zu sagen. Es handelt sich um eine von Aberdutzenden dieser Einstellungen, die immerwieder für Dokumentationen gefilmt werden. Mit ihnen füllt man die Leinwand für den Kommentar aus dem Off, der später darübergelegt wird: »Und so kam ich zu der Überzeugung, dass ein Besuch im Royal College of Psychiatry sich doch als nützlich erweisen könnte …« So was in der Art.
    Ross winkt, und ich gehe los. Aus einem der Häuser schlurft uns ein alter Mann im Hausmantel direkt ins Bild. Ich bleibe stehen und gehe dann zu meiner Markierung zurück. So was passiert andauernd, wenn man auf der Straße filmt, und wir haben uns daran gewöhnt. Nun, nicht so sehr an alte Männer im Hausmantel als vielmehr an normale Passanten oder Zivilpersonen, wie einige Leute im Film- und Fernsehgeschäft sie nennen, beziehungsweise auch »Muggles«, wie es heutzutage heißt und zum Zusammenzucken veranlasst. Das Drehen von Fernsehdokumentationen ist nicht zu vergleichen mit der Arbeit an großen Spielfilmen, bei der man von Polizisten und Regieassistenten unterstützt wird, die helfen, die Normalbürger im Zaum zu halten. In diesen Situationen warten wir geduldig und grinsen albern. Der Mann im Hausmantel nähert sich langsam und beschwerlich, und ich erkenne, dass es Simon Gray ist. Sein Haar ist fast weiß und sein Gesicht eingefallen. Er sieht furchtbar krank aus und viel älter als seine siebzig Jahre.
    »Hallo, Simon.«
    »Oh, hallo.«
    Wir hatten nur einmal miteinander gesprochen, seit es 1995 zu jenen traumatischen Ereignissen gekommen war, wegen deren ich aus seinem Stück
Cell Mates
ausgestiegen und nach Europa geflohen war. Wie es der Zufall will, soll der Dokumentarfilm, den ich genau andiesem Tag drehe, unter anderem herauszufinden helfen, was mich zu jener Flucht getrieben hatte.
    »Und? Was treibst du so?«, fragt Simon.
    »Na ja, ich mache einen Film.« Ich deute auf die Kamera hinter mir. Ich halte es für klug, nicht zu erwähnen, dass die Ereignisse von 1995 im Film von zentraler Bedeutung sind.
    Er dreht sich langsam um, betrachtet die Kamera und wendet sich dann wieder mir zu. »Aha. Na ja. So ist das also, nicht wahr? So eine Art Comedy, kann ich mir vorstellen. Nun denn.« Nie hat das Wort »Comedy« so geringschätzig geklungen, so vulgär und so armselig. Simon hatte mir nie vergeben, dass ich
Cell Mates
verlassen hatte. Die anfängliche Besorgnis um mein Wohlergehen zum Zeitpunkt meines Weggangs war sehr schnell Groll, Wut und Verachtung gewichen. All das war durchaus verständlich. Die Show hätte weitergehen müssen.
    Ich sehe ihn nur noch ein einziges Mal. Im Juli 2008, und ich sitze in einer Loge im Lord’s Cricket Ground und sehe mit an, wie Pietersen und Bell beim vierten Wicket gegen Südafrika fast 300 Runs schaffen. Die Loge nebenan ist besetzt mit prominenten Stückeschreibern: Tom Stoppard, Ronald Harwood, David Hare, Harold Pinter und, ganz still in einer Ecke, Simon Gray.

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