02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre
Laune. Ich meine, wie sonst will man etwas lernen, wie sonst schickt man seinen Geist auf Entdeckungsreise? Nichtsdestoweniger bin ich leicht schockiert, ein wie gestrenges und stumpfsinniges Bild ich in meinem Tweedjackett und meinen Cordhosen abgegeben haben muss, meine Pfeife paffendund auf all das spätromantische deutsche Getöse lauschend. Ist da alles in die falsche Richtung gelaufen? Oder ist da alles ins rechte Lot gekommen?
Das Studentenleben bringt etwas mit sich, das den Zusammenhang zwischen den Wörtern »Universität« und »universell« deutlich macht. Alle Aspekte des Lebens sind versammelt, und alle Zirkel und Sodalitäten, alle Künstlerkreise und Cliquen, die man im weiten Kosmos der Menschheit findet, sind im Wirbelstrom der jungen Leute zu finden, die während der drei oder vier Jahre ihres Studienaufenthalts eine Universität prägen und definieren.
Wann immer ich nach Cambridge zurückkehre, wandere ich wie ein Fremder durch die vertrauten Straßen. Ich kenne die Architektur sehr gut und liebe sie, aber während die Kapellen und Colleges, die Höfe, Brücken und Türme geblieben sind, was sie immer waren, ist Cambridge jedes Mal völlig anders. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, bemerkte Heraklit, denn man wird stets von frischem Wasser überspült. Man kann nicht zweimal dasselbe Cambridge betreten, nicht dasselbe Bristol oder Warwick oder Leeds oder sonst einen Ort, denn unablässig werden sie von neuen Generationen bevölkert und umdefiniert. Die Gebäude bleiben wie eingefroren, aber eine Universität lebt nicht durch ihre Gebäude, sondern durch die Menschen, die sie bewohnen und nutzen.
Ich habe brillante Menschen entdeckt und totale Nieten und jede Spielart, die dazwischenliegt. Da waren die temperamentvollen, und da waren auch die extrem langweiligen. Jedes denkbare Spezialinteresse war vertreten. Man konnte seine drei Jahre als Undergraduate auf Sportplätzen verbringen, ohne je in Erfahrung zubringen, dass es auch Theater gab. Man konnte sich politisch engagieren und nicht ahnen, dass es Orchester und Chöre gab. Man konnte mit Beagle-Meuten auf die Jagd gehen, segeln, tanzen, Bridge spielen, einen Computer bauen oder einen Garten pflegen. Genau wie man es auch an Hunderten anderer Universitäten kann. Der Unterschied ist nur, dass Cambridge den Vorteil hat, sowohl größer als auch kleiner als die meisten zu sein. Kleiner, weil man in einem College mit vielleicht 300 anderen studiert; größer, weil die Universität insgesamt von über 20 000 Studenten besucht wird. Das bringt gewisse Vorteile mit sich, wenn es um Publikum und Teilnehmer bei Sportveranstaltungen und beim Theater geht, wenn es die Auflagen von Zeitschriften betrifft und dankbare Märkte für alle möglichen geschäftlichen Unternehmungen.
Ich hätte mir natürlich keine Sorgen machen müssen, ins Gebet genommen und als unwissend entlarvt zu werden, was russische Dichter oder die Prinzipien der Teilchenphysik betrifft; die Befürchtung, dass ich in so schwindelnde Höhen akademischer Brillanz geraten könnte, dass es mir den Atem verschlug, erwies sich als grundlos.
Um bei Examina gut abzuschneiden (zumindest im Fach Literaturwissenschaft und in der philosophischen Fakultät allgemein), ist es besser, ein Igel als ein Fuchs zu sein, wenn ich mich der berühmten Unterscheidung bedienen darf, die Isaiah Berlin in seinem Essay über Tolstoi macht. Mit anderen Worten: Es ist besser, eine große Sache zu wissen als eine Menge kleiner Sachen. Ein Standpunkt, eine einzige klare Sichtweise, die alle Elemente eines Themas einbezieht, führt dazu, dass sich Essays mehr oder weniger von selbst schreiben. Examinabesteht man durch Schummeln. Ich habe mich durch meine gesamten drei Jahre in Cambridge geschummelt. Damit will ich nicht sagen, dass ich auf die Arbeit des Kommilitonen neben mir geschielt oder Spickzettel eingeschmuggelt habe. Ich schummelte, indem ich, bevor der Aufsichtführende uns aufforderte, die Fragebögen umzudrehen, und die Uhr anstellte, im Voraus genau wusste, was ich schreiben würde. Ich hatte zum Beispiel eine Theorie zu Shakespeares tragischen und komischen Werken, mit der ich Sie jetzt nicht langweilen möchte und die wahrscheinlich fadenscheinig ist oder zumindest als allgemeine Interpretation Shakespeare’scher Werke weder zutreffender noch überzeugender als irgendeine andere. Ihr Vorzug bestand darin, dass sie auf jede beliebige Frage eine Antwort bot und doch immer
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