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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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im Abschlussexamen des Tripos in Englisch machen würde, das sich sehr schnell näherte. Er schrieb feinfühlig und stilvoll, und seine literarischen Einsichten waren, wie seine moralischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Wahrnehmungen, von weitaus größerem Wert und tiefgreifender als meine, aber er vermochte einfach nicht die Kunst der Zeiteinteilung zu meistern oder den Kompromisszu akzeptieren, den Prüfern das zu geben, was sie wollten. Er stammte aus einer Arbeiterfamilie, die im Südosten Londons lebte. Er erzählte mir, dass nur ganz selten Jungen aus der Public School in Southend oder Isle of Dogs zu ihnen in den Bus gestiegen waren und mit ihrem vornehmen Akzent Fahrkarten gekauft hatten, aber wenn es geschah, hatten er und seine Freunde sie mit Krächzen, Schreien und Nölen nachgeäfft. Nicht drohend oder aggressiv, sondern einfach nur, weil der Ton ihnen so sonderbar vorkam. Es erschien ihnen kaum glaublich, dass jemand, besonders jemand in ihrem Alter, tatsächlich so sprach. Dann kam Barry nach Cambridge, und plötzlich war die Public-School-Schnöselsprechweise die Norm. Er brauchte eine ganze Zeit, bis er glauben konnte, dass jemand mit einem solchen Akzent nicht unbedingt ein Oberschichtentrottel mit fliehendem Kinn sein musste.
    Was Barry von einem Mann wie mir gehalten haben mochte, der so geschickt und gerissen war, die Examensfragen auf eben die Weise zu beantworten, die den größten Erfolg mittels der geringsten Anstrengung brachte, der andererseits aber über hinreichend Erinnerungsvermögen und Wissen verfügte, um sein Werk als authentische akademische Leistung erscheinen zu lassen, weiß ich nicht. Wenn man meine Public-School-Attitüde und zur Schau gestellte Selbstsicherheit hinzunahm, muss ich annehmen, dass ich genau die Art Bagage war, die Menschen mit Geist höchstwahrscheinlich verachteten.
    Cambridge wäre vielleicht, wenn man dazu Veranlassung gesehen hätte, mit dem Gegenargument gekommen, sein Prüfungssystem sei für die reale Welt geschaffen und dafür perfekt. Erfolge in der Politik, in derWerbung, im Auswärtigen Amt, in der City und so vielen bedeutsamen Feldern professioneller Bemühungen hängen von der Befähigung ab, das Wesentliche eines Schriftsatzes in Windeseile herauszufiltern, das Material dem eigenen Gutdünken zu unterwerfen, Zahlen und Fakten zu präsentieren, zu promoten und aufzumotzen, und das alles mit Tempo, Schliff, Mühelosigkeit und Selbstvertrauen. Der Tripos sondert die Langsamen aus, die Ehrlichen, die Sorgfältigen, die Wohlüberlegten und die übermäßig Wahrhaftigen – sie alle wären für den öffentlichen Dienst oder Spitzenkarrieren in höchstem Maße ungeeignet.
    Mein Zynismus und meine Selbstkritik mögen verzerrt und überspitzt wirken, aber ich glaube nicht, dass ich allzu sehr übertreibe. Ganz sicher nämlich ist der Unterschied zwischen Barry Taylors gewissenhafter Integrität und meinem indolenten Kalkül symbolisch für etwas, das in unserem Erziehungs- und Prüfungswesen falsch ist. Angefügt sei, dass Cambridge dann doch nicht so töricht war, Barrys Qualitäten total zu missachten, und er es doch noch zu einer akademischen Karriere brachte, obwohl er nicht den First-Class-Abschluss machte, den ein besseres Prüfungssystem ihm zweifellos beschert hätte. Wenn aber andererseits zu meiner Zeit kontinuierliche Überprüfung stattgefunden hätte und größerer Wert auf schriftliche Arbeiten und Recherche gelegt worden wäre und weniger darauf, dass man im Wettlauf mit der Uhr im Prüfungssaal Essays produziert, wäre ich schon nach Monaten rausgeschmissen worden. Vielleicht wären zwei Prüfungszweige angebracht: einer für glaubhaft wirkende Lumpenhunde wie mich und ein anderer für authentische kluge Köpfe wie Barry.

Caledonia 2 – Schottland, zum Zweiten
     
    Eine zweite Saison Edinburgh Fringe stand bevor. Diesmal war ich exklusiv an die Cambridge Mummers gebunden, den Theaterclub, für den ich im Jahr zuvor in
Artaud at Rodez
aufgetreten war. Trotz ihres Rufs, ein progressives Programm zu machen und besonderes Gewicht auf das Moderne, Radikale und Avantgardistische zu legen, fragten sie mich, ob ich etwas dagegen hätte, dass sie
Latein!
ins Repertoire aufnahmen. Caroline Oulton hatte ein Stück über den Schweizer Kinetik-Künstler Jean Tinguely geschrieben; ein Freund namens Oscar Moore hatte ein Stück geschrieben, dessen Titel ich vergessen habe, aber in dem mit schwarzem Humor über Dunstable gesprochen wurde; Simon

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