02_In einem anderen Buch
entfaltete ein Blatt Papier
und rückte seine Brille zurecht.
»Gut. Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt eins. Die
neue Rekrutin. Thursday Next. Sind Sie da?«
Die versammelten Jurisfiktion-Agenten sahen sich um, und
ich winkte mit der Hand, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
»Aha, da sind Sie ja. Thursday wird von Miss Havisham ausgebildet. Ich bin sicher, Sie freuen sich ebenso wie ich über
diesen Neuzugang zu unserer kleinen Truppe.«
»Das Ende von Jane Eyre hat ihr nicht gefallen?« rief jemand
in feindseligem Ton. Alle sahen zu, wie ein Mann mittleren
Alters zum Podium trat. Es herrschte Schweigen.
»Wer ist das?« flüsterte ich.
»Harris Tweed«, sagte Miss Havisham. »Gefährlich und arrogant, aber ziemlich brillant – für einen Mann.«
»Wer hat ihre Bewerbung unterstützt?« fragte Tweed.
»Sie hat sich nicht beworben«, sagte der Protokollführer. »Ihre Berufung hat sich schon seit langem angekündigt. Außerdem
hat sie Jane Eyre aus den Händen des grausamen Acheron
Hades befreit, allein das rechtfertigt schon ihre Aufnahme.«
»Aber sie hat das Buch geändert!« rief Tweed. »Wer garantiert uns, dass sie das nicht noch mal tut?«
»Ich habe nur zum Besten der Literatur gehandelt«, sagte ich
mit lauter Stimme, was Tweed zu verblüffen schien. Offenbar
war er Widerspruch nicht gewöhnt.
»Ohne Thursday hätten wir Jane Eyre gar nicht mehr«, sagte
der Protokollführer. »Ein vollständiges Buch mit einem anderen
Schluss ist besser als ein halbes Buch ganz ohne Schluss.«
»So steht es aber nicht in den Vorschriften.«
Zu meiner größten Erleichterung meldete Miss Havisham
sich zu Wort. »Wirklich kompetente literarische Detektive sind
so selten wie wahrheitsliebende Männer, Mr Tweed. Das wissen
Sie genauso gut wie ich. Haben Sie Angst vor der Konkurrenz?«
»Darum geht es doch überhaupt nicht«, erwiderte Tweed.
»Aber was ist, wenn sie ganz andere Gründe für ihren Aufenthalt bei uns hat?«
»Ich bürge für sie!« donnerte Miss Havisham. »Ich beantrage
eine Abstimmung. Wenn eine Mehrheit meine Menschenkenntnis in Zweifel zieht, werde ich sie dahin zurückschicken,
wo ich sie herhabe.«
Sie sagte das mit solchem Temperament, dass ich zunächst
annahm, niemand würde sich melden, und am Ende hob auch
nur Tweed seine Hand. Aber als er sah, dass er hoffnungslos in
der Minderheit war, zeigte er sich als guter Verlierer. »Ich ziehe
meine Einwände zurück«, sagte er.
»Gut«, sagte der Protokollführer. »Wir begrüßen also Miss
Next bei der Jurisfiktion, und unterlassen Sie bitte die albernen
Streiche, die neuen Rekruten normalerweise gespielt werden –
okay?«
»Tagesordnungspunkt zwei: Wir haben einen Alarm, Stufe
Rot: Ein illegaler SeitenLäufer aus Shakespeare. Der Verdächtige heißt Feste und hat als Spaßmacher in Was ihr wollt gearbeitet. Nach einer durchzechten Nacht mit Sir Toby ist er geflüchtet. Wer will ihn wieder einfangen?«
Eine Hand in der Menge erhob sich.
»Fabien? Vielen Dank. Nehmen Sie Falstaff mit, der kennt
sich bei Shakespeare aus. Aber bitte lassen Sie sich nicht vom
Publikum sehen, Sir John. Dass Sie bei den Lustigen Weibern
von Windsor gastieren, haben wir gerne genehmigt, aber wir
wollen es nicht übertreiben.«
Falstaff erhob sich, machte eine Verbeugung, rülpste und
setzte sich wieder hin.
»Tagesordnungspunkt drei: bei Conan Doyle ist ein Eindringling aus der Außenwelt aufgetreten. Der Bursche heißt
Mycroft. Taucht völlig ohne jede Ankündigung in The Greek
Interpreter auf und behauptet, er wäre der Bruder von Sherlock
Holmes. Weiß irgendjemand etwas darüber?«
Ich duckte mich und hoffte, dass keiner der Anwesenden
meine Welt so gut kannte, dass er die Verwandtschaft zwischen
mir und meinem Onkel hätte aufdecken können. Dieser hinterlistige alte Halunke! Da hatte er das ProsaPortal also doch neu
gebaut! Ich legte die Hand auf den Mund, um mein Grinsen zu
unterdrücken.
»Keinerlei Hinweise?« sagte der Protokollführer. »Na, vielleicht ist es ja auch nicht so schlimm. Sherlock Holmes jedenfalls scheint zu glauben, dieser Mycroft wäre wirklich sein
Bruder. Aber ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit, diese
ganzen Sherlock-Holmes-Geschichten mal näher unter die
Lupe zu nehmen. Bisher fehlt uns ja jeglicher Zugang. Irgendwelche Vorschläge?«
»Wie wäre es durch die Rue Morgue?« rief Tweed, was heftiges Gelächter und Zurufe auslöste.
»Ruhe, bitte! Ich möchte vernünftige
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