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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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befand sich seit halb fünf Uhr in Joy Sinclairs Haus in Hampstead. Die Beamten, die zu seiner Überwachungsmannschaft gehörten, waren nicht viel später eingetroffen und hatten sich sofort an die vereinbarten Plätze begeben: Zwei saßen in einem Lieferwagen mit plattem Vorderreifen, der auf halber Höhe im Flask Walk stand; einer war in der Buchhandlung an der Ecke Back Lane, ein zweiter in einem Kräuterladen, und ein weiterer hatte in der High Street Posten bezogen, wo er Blick auf den Untergrundbahnhof hatte.
    Lynley selbst hatte jene Stelle des Hauses im Auge, an der es am leichtesten war einzudringen: die Terrassentür des Speisezimmers, die in den hinteren Garten hinausführte. Er saß im unbeleuchteten Wohnzimmer, in ständigem Funkkontakt mit seinen Leuten draußen.
    Es war kurz nach acht, als das Paar im Lieferwagen sich meldete. »Havers unten am Flask Walk, Sir. Sie ist nicht allein.«
    Perplex stand Lynley auf, ging zur Haustür und öffnete sie einen Spalt. Im selben Moment kamen Barbara Havers und Helen Clyde die Straße herauf. Der Schein einer Lampe tauchte ihre Gesichter in gespenstisches gelbes Licht. Sie eilten durch den Vorgarten und zur Tür herein.
    »Was, zum Teufel -« begann Lynley hitzig, sobald er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
    »Ich habe Barbara keine Wahl gelassen, Tommy«, unterbrach Helen ihn. »Denton sagte mir, daß du Überwachungsdienst machst. Den Rest reimte ich mir selbst zusammen und bin zu Barbara gefahren.«
    »Du kannst nicht hier bleiben. Verdammt noch mal, wer weiß, was hier passiert.« Lynley ging durch die Dunkelheit ins Wohnzimmer, wo das Funkgerät war, nahm es zur Hand und begann schon zu sprechen. »Ich brauch hier einen Mann, der -«
    »Nein! Tu mir das nicht an!« Helen streckte flehend beide Arme aus, berührte ihn aber nicht. »Ich habe gestern abend getan, was du von mir verlangt hast. Ich habe alles getan, was du verlangt hast. Laß mich jetzt bitte hier bleiben. Ich muß dabei sein, Tommy. Ich stör euch nicht. Ich verspreche es. Wirklich. Nur laß mich das so beenden, wie ich es beenden muß. Bitte.«
    Unschlüssigkeit lahmte ihn. Er wußte, was er zu tun hatte. Er wußte, was richtig war. Sie gehörte so wenig hierher wie in eine Wirtshausprügelei. Er hatte schon die richtigen Worte auf den Lippen, doch ehe er sie aussprechen konnte, beschwor Helen ihn in einem Ton, der ihn bis ins Innerste traf.
    »Ich bitte dich, Tommy. Gesteh mir wenigstens zu, daß ich die Beziehung zu Rhys so beende, wie es für mich am besten ist.«
    »Inspector?« schallte es aus dem Funkgerät.
    Lynleys Stimme war rauh. »Schon in Ordnung. Bleiben Sie auf Ihren Posten.«
    »Danke«, flüsterte Helen.
    Er konnte ihr nicht antworten. Er konnte nur an das denken, was sie gesagt hatte. »Ich habe alles getan, was du von mir verlangt hast.« Er konnte den Gedanken daran, was dies bedeutete, kaum ertragen. Ohne ein Wort zu sagen, ging er an ihr vorbei in eine düstere Ecke des Speisezimmers, zog den Vorhang ein klein wenig zur Seite, um in den Garten hinauszublicken, sah nichts und kam zurück. Das lange Warten begann.
    Helen hielt sich in den folgenden sechs Stunden fest an ihr Versprechen. Nicht ein einziges Mal stand sie aus dem Sessel im Wohnzimmer auf, in dem sie nach dem Gespräch Platz genommen hatte. Sie sprach kein Wort. Es gab Augenblicke, da glaubte Lynley, sie schliefe, doch er konnte ihr Gesicht nicht deutlich sehen.
    In der dämmrigen Beleuchtung des Zimmers schien sie ihm an Substanz zu verlieren, ähnlich wie eine Fotografie im Lauf der Jahre verblaßt. Die warmen braunen Augen, die Wölbung der Stirn, der sanfte Schwung von Wange und Lippen, die eigensinnige Kontur des Kinns - alles verschwamm im Laufe dieser stillen Stunden des Wartens. Während er ihr schweigend gegenübersaß, überkamen ihn Sehnsucht und Verlangen nach ihr, wie er sie nie gekannt hatte. Es war wie ein Ruf seiner Seele nach einem verwandten Geist, ohne den er nicht leben konnte. Und dabei quälte ihn unablässig das Gefühl, zu spät gekommen zu sein.
    Um zehn nach zwei meldete sich einer der Posten. »Wir haben Gesellschaft, Inspector. Er kommt den Flask Walk herunter .
    Hält sich im Schatten ... sehr geschickt, muß man sagen ... Der paßt genau auf, ob Bullen da sind ... dunkle Kleidung, dunkle Wollmütze ... Jetzt bleibt er stehen. Drei Häuser von mir entfernt.«
    Danach folgte eine Pause von mehreren Minuten. Dann begann der geflüsterte Monolog von neuem. »Jetzt geht er über die

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