02 - Keiner werfe den ersten Stein
Straße. Schaut sich um ... Geht weiter - geht wieder rüber auf die aridere Seite Richtung Back Lane ... Das ist unser Mann, Inspector. Man braucht nur zu sehen, wie er sich benimmt ... Ich geb weiter. Hab ihn aus dem Auge verloren. Er ist in die Back Lane eingebogen.«
Eine andere Stimme wurde vernehmbar. »Verdächtiger nähert sich der Gartenmauer - zieht sich was übers Gesicht - tastet mit der Hand die Mauer ab .«
Lynley schaltete das Gerät aus. Lautlos ging er in den dunkelsten Teil des Speisezimmers. Barbara Havers folgte ihm. Helen stand aus dem Sessel auf.
Zunächst sah Lynley nichts jenseits der Terrassentür. Dann schob sich eine dunkle Gestalt gegen den Nachthimmel in die Höhe und erklomm die Gartenmauer. Sie hörten den gedämpften Aufprall, als der Mann auf der Innenseite hinuntersprang. Ein Gesicht war nicht zu sehen, obwohl das Licht der Sterne und die Straßenlampen der Back Lane den Schnee im Garten erleuchteten, ja, bis ins Innere des Hauses hereinreichten. Der Mann trug eine Skimütze, die das ganze Gesicht bedeckte.
»Helen, geh ins Wohnzimmer zurück«, raunte er.
Aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Er blickte sich um und sah, daß sie mit weit geöffneten Augen auf die Gestalt im Garten starrte, die sich langsam und vorsichtig der Tür näherte. Sie hielt die zur Faust geballte Hand auf den Mund gedrückt.
Als der Eindringling, der Mörder, die vier Stufen hinaufstieg und den Arm zur Tür ausstreckte, schrie Helen plötzlich in panischem Entsetzen: »Nein! O Gott, Rhys!«
Der Mann vor der Tür erstarrte nur einen Moment lang, dann wirbelte er herum, rannte zur Mauer zurück und schwang sich im Schlußsprung über sie hinweg.
»Verdammter Mist!« schrie Barbara Havers, stürzte zur Terrassentür und riß sie auf. Ein Schwall eisiger Nachtluft strömte ins Zimmer.
Lynley war wie gelähmt. Er konnte Helens Reaktion immer noch nicht fassen ... Sie hatte nicht absichtlich ... Niemals hätte sie ...
In der Dunkelheit kam sie auf ihn zu. »Tommy, bitte ...«
Ihre tränenerstickte Stimme brachte ihn abrupt zur Besinnung. Mit einem Arm stieß er sie zur Seite, stürzte zum Funkgerät und rief: »Er ist uns entwischt.« Als das getan war, rannte er zur Haustür und lief hinaus.
»Rauf in Richtung High Street!« rief ihm der Mann aus der Buchhandlung auf der anderen Straßenseite zu, als er vorbeirannte.
Er hörte es nicht. Vor sich sah er die dunkle Gestalt, hörte das rhythmische Knallen seiner Schuhsohlen auf der Straße, sah, wie der andere auf einer Eisplatte ausrutschte und beinahe gestürzt wäre, wie er sich wieder fing und weiterrannte. Lynley versuchte nicht, sich im Schatten der Hausmauern zu halten, sondern jagte mitten auf der Straße hinunter.
Wenige Schritte hinter sich hörte er Barbara Havers. Sie rannte mit aller Kraft und ließ sich dabei mit den wüstesten Beschimpfungen über Helen aus.
»Polizei!« Die beiden Constables aus dem Lieferwagen kamen um die Ecke gedonnert und schlossen sich ihnen an.
Der fliehende Mann erreichte die Heath Street, eine der größeren Straßen von Hampstead. Das Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden Autos fing ihn ein. Reifen quietschten, der Fahrer des Wagens hupte wie verrückt. Keinen halben Meter von dem flüchtigen Mann entfernt kam der große Mercedes zum Stehen. Aber der Mann rannte nicht weiter, sondern fuhr herum und griff zur Tür. Obwohl Lynley fast hundert Meter entfernt war, konnte er die entsetzten Schreie aus dem Auto hören.
»Sie da! Halt!« Ein weiterer Constable schoß, keine dreißig Meter von dem Mercedes entfernt, aus der High Street um die Ecke. Bei seinem Ruf jedoch warf sich der flüchtende Mann nach rechts und rannte weiter, den Hügel hinauf.
Doch der Versuch, in das Auto einzusteigen, hatte ihn Zeit und viel von seinem Vorsprung gekostet. Lynley hatte aufgeholt, war nahe genug, um sein lautes Keuchen zu hören, als er auf eine schmale Steintreppe zuhielt, die den Hang hinauf zu den Häusern auf dem Hügel führte. Drei Stufen auf einmal nehmend, hetzte er hinauf und machte oben halt, wo ein Drahtkorb mit leeren Milchflaschen vor einer Haustür stand. Er packte den ganzen Korb und schleuderte ihn die Treppe hinunter, ehe er weiterrannte, doch das laute Klirren erschreckte nur mehrere Hunde aus der Nachbarschaft, die augenblicklich ein wütendes Gekläff anstimmten. In den Häusern entlang der Treppe gingen die Lichter an, so daß Lynley seinen Weg besser sehen konnte und der Scherbenhaufen für
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