02 - komplett
ihren Bann schlägt.“
„Und nur ein Zyniker könnte glauben, dass dich das freut. Wie wir beide wissen, bin ich Zyniker.“
Verständnislos zog Gavin die Braue hoch. „Rätsel waren noch nie meine Stärke. Was möchtest du mir damit sagen?“
„Wusstest du, dass Mrs. Hayden hier sein würde, als du mich nach Willowdene eingeladen hast?“
„Natürlich“, antwortete Gavin und lehnte sich behaglich in dem Stuhl zurück.
„Schließlich hat Sarah sich schon die ganze Zeit darauf gefreut, ihre beste Freundin endlich wiederzusehen. Aber ich weiß nicht ...“ In diesem Augenblick glitt ein Ausdruck der Belustigung über sein Gesicht. „Ah, ich fange an zu begreifen. Du glaubst, dass Sarah es sich in den Kopf gesetzt hat, euch beide miteinander zu verkuppeln!“
„Das wäre mit Sicherheit nicht das erste Mal, dass eine Bekannte mich zu diesem Zweck eingeladen hat. Nicht das erste, vielleicht noch nicht einmal das hundertste Mal. Und – liege ich richtig?“
„Nein“, erwiderte Gavin ohne Umschweife und nippte an dem Port. „Es mag ja stimmen, dass du dich für Ruth interessierst, mein Freund. Aber ich will nicht um den heißen Brei herumreden: Ich glaube kaum, dass sie dieses Interesse erwidert.
Diese Frau steht für eine Affäre nicht zur Verfügung. Auch nicht für Männer wie dich, die ihre Geliebten großzügig aushalten. Glaub mir.“
Clayton lehnte sich zurück und drehte nachdenklich das Weinglas zwischen den Fingern, den Blick auf die rubinrote Flüssigkeit gerichtet. „Ist sie schon vergeben?“
„Sarah hat mir vorhin erzählt, dass Ruth erst kürzlich einen Heiratsantrag bekommen hat.“ Gavin schenkte sich nach und schob Clayton die Karaffe hinüber. „Soweit ich weiß, handelt es sich bei ihrem Verehrer um einen der hiesigen Honoratioren. Mehr kann ich dir leider nicht erzählen. Ich habe ohnehin schon zu viel gesagt und muss dich um Verschwiegenheit bitten. Auf keinen Fall soll Ruth denken, dass ich hinter ihrem Rücken über sie rede. Sarah liebt sie wie eine Schwester, denn Ruth hat sich als wahre Freundin erwiesen, als Sarah ganz allein stand und Unterstützung benötigte.“
Clayton nickte. „Wer auch immer der Mann ist, er kann sich glücklich schätzen.“
„Das stimmt“, murmelte Gavin. Von der Seite her warf er seinem Gast einen Blick zu und verzog belustigt die Mundwinkel.
Natürlich wusste er nur zu gut, dass Clayton dem weiblichen Geschlecht gegenüber eine äußerst zynische Haltung an den Tag legte. Dafür hatte Priscilla gesorgt, indem sie sich während der kurzen Ehe der beiden wie ein loses Frauenzimmer aufgeführt und Clayton damit dem Gespött der Gesellschaft preisgegeben hatte. Seit der Scheidung hatten sich ihm immer wieder ehrgeizige Damen an den Hals geworfen, die die Stelle der ersten Lady Powell einnehmen wollten. Clayton galt als Hauptpreis auf dem Heiratsmarkt und musste unablässig auf der Hut sein. Zu viele Mütter hoffnungsfroher Debütantinnen wollten ihren Töchtern sein Vermögen und einen Platz auf seinem Stammbaum sichern.
Je länger Sir Clayton Powell Junggeselle blieb, desto entschlossener gingen die Damen seiner Bekanntschaft daran, ihn zu verkuppeln. Gavin hatte von Wetten gehört, die im ton darauf abgeschlossen wurden, welche der Matronen schließlich den Sieg davontragen würde.
Selbstverständlich blieb Clayton nichts davon verborgen. Er wusste genau, dass es einer Gastgeberin, die ihn zu ihrem Ball einlud, nicht um das ging, was er war, sondern um das, was er besaß. Je nachdrücklicher die Einladungen ausgesprochen wurden, desto widerwilliger folgte er ihnen. Clayton schien mehr Vergnügen daran zu finden, sich mit einer Halbweltdame im Theater sehen zu lassen oder in Klubs um hohe Einsätze zu spielen, als bei Almack’s mit jungen Damen seiner Kreise zu tanzen.
In Gavins Augen sprach dieses Verhalten Bände über die Einstellung seines Freundes zu Heirat und Ehe. Vermutlich durfte es einen daher nicht überraschen, dass Clayton heute Abend voreilige Schlüsse gezogen hatte. Sicher hatte er Ruth für eine jener Glücksritterinnen gehalten, denen es eher um sein Vermögen als um seine Person ging. Falls er sie entsprechend verächtlich behandelt hatte, erklärte das jedenfalls die eisige Atmosphäre, die in der Bibliothek geherrscht hatte.
Gavin musste ein Lachen unterdrücken. Wenn er Claytons Miene richtig deutete, rätselte der Freund immer noch, weshalb Mrs. Hayden nicht mit ihm geflirtet und ihn bewundernd angeblickt hatte,
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