02 - komplett
wie er es von den Damen seiner Bekanntschaft gewohnt war.
Gavin fand, Ruth solle sich nicht auf eine Affäre mit einem reichen Liebhaber einlassen. Sie verdiente einen Mann, der sie liebte und den sie wiederlieben konnte.
5. KAPITEL
„Nein, bitte sag nichts“, bat Ruth inständig. „Sir Clayton hat sich entschuldigt, und seit seiner seltsamen Bemerkung in der Bibliothek hat er sich mir gegenüber höchst charmant verhalten.“
„Das sollte er auch, wenn er will, dass ich ihm sein Benehmen verzeihe“, antwortete Sarah ungnädig.
Die beiden hatten es sich wieder auf den Stühlen am Kinderbettchen bequem gemacht, um zu plaudern und auf James’ ruhige Atemzüge zu lauschen. Da sie nichts voreinander verbargen, hatte Ruth der Freundin von der Auseinandersetzung mit Sir Clayton berichtet. Allerdings hatte sie nicht mit Sarahs ungehaltener Reaktion gerechnet. Empört hatte die Freundin erklärt, mit ihrem Mann über Sir Claytons Benehmen sprechen zu wollen.
„Wie kann er es wagen, uns zu unterstellen, wir wollten ihn mit dir verkuppeln!“, ereiferte sie sich. Allerdings sprach sie im Flüsterton, um ihren kleinen Sohn nicht zu wecken.
„Möglicherweise dachte er noch nicht einmal an Heirat“, räumte Ruth ein. Je mehr Sarah sich über das Vorgefallene erregte, desto komischer kam ihr die ganze Sache plötzlich vor. „Schließlich bin ich Witwe und verfüge weder über Verbindungen noch über ein Vermögen. Er dachte sicher, ich sei gar nicht auf eine Ehe aus, sondern auf ein ganz anderes Arrangement.“
Als sie sah, wie Sarah erneut aufbrausen wollte, winkte sie besänftigend ab.
„Bestimmt ist er einfach zu sehr daran gewöhnt, dass alle Frauen hinter ihm her sind.
Er sieht gut aus und ist wohl auch reich.“
Sarah nickte so heftig, dass ihre blonden Locken tanzten. „Alle Debütantinnen versuchen, mit ihm zu flirten. Und nicht nur Debütantinnen“, setzte sie hinzu, als sie sich daran erinnerte, ihn eines Abends mit mehreren Halbweltdamen im Theater gesehen zu haben. „Sein Vermögen muss geradezu unglaublich sein, denn Gavin behauptet manchmal, dass er sich neben seinem Freund fast wie ein Bettler vorkommt. Aber all das entschuldigt wirklich nicht sein Verhalten dir gegenüber.“
„Vergiss die Angelegenheit einfach. Sie ist es nicht wert, sich darüber aufzuregen.“
Ruth legte der Freundin die Hand auf den Arm, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Vermutlich ist es Sir Clayton im Nachhinein unangenehm genug. Und wir müssen nur diesen einen gemeinsamen Abend überstehen, bevor ich morgen früh nach Hause zurückkehre und ihn vermutlich nie mehr wiedersehe. Lass uns in den Salon zurückkehren. Sollen wir den Herren eine Runde Pikett vorschlagen?“
„Eigentlich wollte ich dich bitten, uns etwas vorzusingen. Aber nach allem, was du erzählt hast, hat Clayton es nicht verdient, deine schöne Stimme zu genießen.“
Ruth verdrehte in komischer Verzweiflung die Augen. „Wann wirst du endlich einsehen, dass ich so unmusikalisch bin wie ein Brett, Sarah?“
„Ach was!“, widersprach Sarah entschieden. „Verglichen mit meinem sängerischen Talent reicht deines aus, um in der Oper aufzutreten.“
„Das mag allerdings sein“, stimmte Ruth in gespielter Ernsthaftigkeit zu. Sarah hatte selbst einmal behauptet, ihre Stimme klänge, als hätte jemand der Katze auf den Schwanz getreten. Bei aller Freundschaft – aber dieser Einschätzung hatte Ruth nichts hinzuzufügen.
„Also wirklich! Du könntest wenigstens so tun, als wolltest du mir widersprechen“, warf Sarah ihr vor, aber ihre Augen funkelten belustigt. „Komm, gesellen wir uns wieder zu den Gentlemen. Ich werde den Mund halten und Gavin nichts über das Benehmen seines Freundes erzählen. Aber so leicht kommt Clayton mir nicht davon.
Wenn der Bursche mir schon Kupplerei zutraut, dann könnte mich das in Versuchung führen, ihm einen Grund für diesen Verdacht zu geben!“„Ach, da bist du ja, meine Liebe. Gerade habe ich zu Clayton gesagt, dass wir uns statt des morgendlichen Ausritts etwas Neues überlegen müssen, falls der Schnee liegen bleibt. Wie wäre es mit einer Schneeballschlacht?“
„Was für eine gute Idee!“, rief Sarah aus, als sie und Ruth inmitten einer Wolke französischen Parfüms den Salon betraten. „Wir würden mitmachen. Ich könnte mir vorstellen, dass es Ruth in den Fingern juckt, ein paar Schneebälle nach Clayton zu werfen.“
Ruth versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber am liebsten
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