02 - Schatten-Götter
bemüht, sich seiner brennenden Kleidung zu entledigen, als ein Ellbogen seine Brust traf. Er stolperte zurück, erholte sich jedoch rasch und schlug mit seiner grünlodernden Hand zu. Nerek wich dem Hieb geschickt aus, trat auf ihn zu und hämmerte ihm ihre behandschuhte Faust ins Gesicht. Alael hörte es knacken, als der Hieb den Eindringling rücklings über ein niedriges Bücherregal und unter lautem Klirren durch ein kleines Doppelfenster schleuderte. Später erinnerte sich Alael sehr genau daran, dass sein Haar loderte, und ein Grinsen auf seinem schädelartigen Gesicht lag, bevor er in der Tiefe verschwand. Einen Moment herrschte Dunkelheit in dem Raum, dann bildete sich ein helles Glühen zwischen den Händen der Blinden Rina, in dem die Gestalten von Hauptmann Ghazrek und drei seiner Ritter hinter ihr aufleuchteten. »Nach unten, Hauptmann!«, keuchte Alael. »Einer der Agenten des Feindes … ist aus dem Fenster gefallen. Seht nach, ob er noch lebt.«
Ghazrek nickte einmal knapp und stürmte hinaus.
Alael ging zum Meister der Sprachen. Seine Kleidung war an der Brust versengt, seine Augenbrauen und ein Teil seines schütteren Haares waren verbrannt, und die Haut an der rechten Seite seines Gesichts war rot und von Brandblasen übersät. Als sie ihm in seinen Sessel half, atmete er flach und schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen, aber er versuchte dennoch, zu sprechen. Sie beruhigte ihn und sah sich um. Die Blinde Rina untersuchte Nereks bloße Hand, während eine Linie aus Licht langsam über ihren Kopf glitt. Von der Mitte des Zimmers aus beobachtete sie der Magier-Spielmann Osper Trawm besorgt, während er das silberne Instrument auf seiner Brust bediente.
Die Blinde Rina hockte sich neben Alael und Onsivar.
»Habt ihr große Schmerzen?«
»Was für eine … überflüssige Frage!«, stieß der alte Gelehrte heiser hervor. »Lady Alael, ich muss …!« »Ihr müsst ruhen, Baas Onsivar, während ich Eure Wunden behandle.«
Der Meister der Sprachen bäumte sich auf. »Gute Frau, Ihr könnt mich gern versorgen, wie Ihr es vermögt… aber es gibt Angelegenheiten, die ich Lady Alael unverzüglich mitteilen muss!«
Die Blinde Rina lächelte kopfschüttelnd. »Wie Ihr wünscht, Baas.«
»Gut. Also, Mylady, hört genau zu. Wie ich vorhin kurz andeutete, ist das Manuskript des Raegal ein Palimpsest. Ein älteres Schriftstück wurde von der Oberfläche des Pergamentes abgekratzt, damit man es noch einmal benutzen konnte.
Durch verschiedene Mittel war ich in der Lage, die älteren Zeilen zu entziffern und stellte zu meiner Verblüffung fest, dass es eine Seite aus einem uralten Werk der Philosophie war, das sich
Die Lehren des Korrul
nennt. Man hatte angenommen, das letzte Exemplar wäre in der großen Bibliothek von Alvergost untergegangen, als sie nach dem Fall des Brusartanischen Thrones geplündert wurde…«
Alael unterbrach ihn. »Baas Onsivar, was sagen diese alten Worte?«
»Sie geben sehr ausführliche Instruktionen, wie man Waffen herstellt, Mylady«, erwiderte er. »Waffen aus einer Verschmelzung beider Mächte … Speere, Dolche, Schwerter, die kein Gramm Holz oder Eisen an sich haben.« Erschöpft sank er in dem Sessel zurück. »Ich habe ein … Blatt mit einer Übersetzung in Euer Buch gelegt. Bitte, zeigt es umgehend dem Erzmagier«.
»Das werde ich, noch in dieser Nacht.«
In dem Moment öffnete sich die Tür, und ein sehr ernst wirkender Ghazrek kam herein. Seine grimmige Miene sagte Alael genug.
»Ist er noch da, Hauptmann?«, fragte sie dennoch.
Die Enttäuschung des Mogaun-Hauptmannes war unübersehbar. »Keine Leiche, Mylady. Im Licht der Fackeln konnten wir nur erkennen, wo er gelandet ist. Wir haben einige verbrannte Lumpen gefunden und ein paar blutige Fußabdrücke, aber sie sind zwischen den Büschen verschwunden.«
»Dass er nach all dem noch in der Lage ist zu laufen«, sagte die Blinde Rina. »Er ist ein zäher Bursche.« Und jetzt läuft er da draußen frei herum, dachte Alael für sich.
»Ich muss Euch hier zurücklassen«, sagte sie zur Blinden Rina und zu Nerek. Sie stand auf, überzeugte sich, dass sich die Übersetzung in dem Kodex der Sagenlieder befand, und klemmte sich das Buch unter den Arm. »Ich muss das hier sofort zu Meister Bardow bringen. Ihr wisst, warum.« Während die Blinde Rina nickte, hüstelte jemand anders in dem Raum diskret.
»Ich dagegen bleibe nur zu gern hier«, erklärte Osper Trawm.
»Ich nicht«, meinte Nerek knapp. »Ich kehre
Weitere Kostenlose Bücher