02 - Schatten-Götter
abweisend, dass sie sich hütete, eine diesbezügliche Frage zu stellen.
Es war dunkel und stürmisch, als sie aus dem Tor der Kaiserlichen Kaserne ritten. Wie ihre Eskorte war auch sie passend für das eisige Wetter gekleidet. Dennoch durchdrang die Kälte ihre Gewänder. Es schneite zwar nicht, aber dicke Wolken segelten über den Himmel, die ab und zu aufrissen und einen Blick auf das sternenübersäte, schwarze Firmament freigaben.
Die Straßen, durch die sie galoppierten, waren von schmutzigen Schneehaufen übersät und zumeist verlassen. Zwischen vielen der fest verrammelten Fensterläden drang Lampenlicht hervor, und es herrschte eine gedämpfte Stille, als würde sich die Stadt nach all den Krisen der letzten Tage in sich selbst zurückziehen. Sicher, gelegentlich brannten über den Türen der Schänken, an denen sie vorbeiritten, Laternen, und aus ihrem Inneren drang Lärm, doch das verstärkte nur den allgemeinen Eindruck düsterer Verlassenheit.
Irgendwo in der Nähe kläffte ein Hund, und ein trauriges, fernes Heulen antwortete ihm.
Sie kamen an eine Kreuzung, von der aus sie nach Norden zum Fluss ritten. Alael fühlte, wie ihre erwartungsvolle Stimmung allmählich der Niedergeschlagenheit und einem finsteren Brüten wich. Die nächste Brücke über den Olodar lag direkt vor ihnen, aber die Gebäude unmittelbar zu ihrer Rechten gaben plötzlich den Blick auf eine viereckige, ummauerte Senke frei, die mit Schutt übersät war. Aus irgendeinem Grund lag hier kaum Schnee. Innerhalb der Mauern war alles schwarz, und ein schwacher Brandgeruch drang Alael in die Nase, als sie ihr Pferd zügelte. Trauer schien schwer auf diesem Ort zu lasten, der wie ein Friedhof wirkte, bis eine gellende, gequälte Stimme aus den zerstörten Wänden ihr zurief:
»Lasst die Toten in Frieden ruhen!«
Eine verhüllte Gestalt, die in dem Mauerwerk kauerte, streckte ihnen ihre knochige Hand entgegen, als wollte sie die Reiter abwehren, und wiederholte die Warnung, diesmal heiserer. Entsetzt wendete Alael ihr Pferd und wollte sich der Gestalt nähern, aber einer der Ritter aus ihrer Eskorte hielt sie auf.
»Bitte, Mylady, man kann nichts für sie tun.«
»Für sie?«
Der Ritter nickte. »Ich habe sie am Tag gesehen, als ich hier vorbei geritten bin. Sie ist ein Klageweib, Mylady, und weigert sich, die Ruinen zu verlassen. Einige behaupten, sie hätte einen geliebten Menschen verloren, als die Hallen brannten, und die Trauer hätte ihr den Verstand geraubt.«
Alael starrte in die schwarzen Ruinen und hörte, wie die alte Frau darin herumwühlte. Mitleid durchfuhr sie wie in Stich. »Was war das für ein Ort?«
»Es war die alte Halle der Magier«, mischte sich Ghazrek plötzlich ein. »Wenn es Mylady recht ist, sollten wir weiterreiten. Es ist nicht sicher, sich nach Einbruch der Nacht an einem solchen Ort aufzuhalten.« Trotz seiner augenfälligen Höflichkeit duldeten seine Worte keinen Widerspruch, und als sie umringt von ihrer Eskorte weiterritt, begriff Alael etwas von Taurics starkem Pflichtgefühl den Menschen dieser Stadt gegenüber. Ein schrecklicher Feind scharte seine Streitmacht vor den Mauern zusammen, während in ihrem Inneren Fluten von Verzweiflung und Sinnlosigkeit gegen die Wälle schlugen. Tauric versuchte immer wieder und wieder, seinen Platz in dieser Schlacht zu finden. Alael dagegen hätte, wäre sie in seiner Position gewesen, sich mehr darum gekümmert, die Entbehrungen zu lindern, welche die gemeinen Leute ertragen mussten. Dann stellte sie sich vor, wie unwillig ihr Onkel Volyn auf ein solches Ansinnen ihrerseits reagiert hätte, und lächelte traurig.
Als sie die Königinnenbrücke im Galopp überquerten, trommelten die Hufe wie Donner über die Planken. Sie ritten in die Altstadt, und Ghazrek führte sie auf eine breite Durchgangsstraße, die nach Norden abbog. Der Wind wurde stärker und wirbelte Alael gelegentlich eisige Tropfen ins Gesicht, und als sie zum Fort an der Kapelle hinaufschaute, sah sie zwei große Wachfeuer, deren gelbe Flammen im Wind heftig loderten. Kurz darauf ritten sie über die Straße, die Alael das letzte Mal in einer Kutsche befahren hatte. An den halb überwucherten Pforten des Kolleggeländes verlangsamte ihre Eskorte die Geschwindigkeit, und sie trabten den Schotterweg zum Kolleggebäude hinauf. Dabei erschreckten sie Snen großen, schwarzen Hund, der aufsprang und im Schatten verschwand. In der Nacht war das Gebäude eine formlose, graue Masse, die sich aus der
Weitere Kostenlose Bücher