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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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    Tavo fühlte sich jetzt ein bisschen erholt und schob die Finger seiner unverletzten Hand in einen schmalen Felsspalt, der horizontal über ihm verlief. Einen Fuß setzte er auf einen Vorsprung, und zog sich hinauf. Seine andere Hand war nutzlos. Er hatte sie sich bei einem Sturz gebrochen, nach welchem er fast betäubt vor Schmerz auf einem Vorsprung weit unter seinem jetzigen Standort liegen geblieben war. Er hatte den Brunn-Quell benutzt, um seine Knochen zu einer geballten Faust zu verschmelzen, damit er wenigstens Unterarm und Ellbogen als Hebel einsetzen konnte. Seine zerfetzten Muskeln schmerzten höllisch, aber in diese Qualen mischte sich der Schmerz der anderen Wunden, welche er in den letzten Tagen erlitten hatte. Ganz zu schweigen von den Verbrennungen, die er in diesem verfluchten Kolleg hatte ertragen müssen. Und dazu kamen noch die schleichenden Missbildungen von Haut und Knochen, welche die Verwendung der vereinten Kräfte des Brunn-Quell und der Niederen Macht mit sich brachte. Bei all dem fühlte sich sein Körper wie ein einziges Bündel Qualen an, das er jetzt langsam den blanken Fels hinaufzwang.
    Das Kliff wirkte wie ein riesiges Labyrinth aus Vorsprüngen, Höhlen, schroffen Klippen und Spalten, welche die Witterung in den Fels hineingeschnitten hatte. Im Frühling und Sommer beherbergte es außerdem tausende von Vögeln, deren verfallene Nester und Exkremente jeden Vorsprung und jede Senke bedeckten, was dazu führte, dass er bei seiner Klettertour von einer stinkenden Kruste überzogen wurde. Bei jedem Schritt, bei jedem Halt, der sich seinem Fuß und seiner Hand bot und der sein Gewicht hielt und nicht abbröckelte, verfluchte er die gefiederte Plage. Allmählich wurde es dunkler, als sich die Sonne senkte, aber er hatte ohnehin fast den ganzen Tag in eiskaltem Schatten an der Felswand zugebracht, und nur die Hitze des Brunn-Quell verhinderte, dass der Frost in seine Glieder drang und sie betäubte.
    Als es dunkler wurde und der Himmel sich bewölkte, neigte sich die senkrechte Wand zu einem steilen Hang, auf dem zähe Blutsdorn-Büsche wuchsen. Vorsichtig kletterte er hinauf und nutzte jeden noch so kleinen Halt, den er finden konnte. Schließlich schob Tavo sich mit dem Bauch über den flachen, schneebedeckten Boden. Zu seiner Rechten erhoben sich die gewaltigen Mauern Besh-Daroks, auf deren Türmen und Zinnen Wachfeuer leuchteten. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte trotzig getanzt und geschrieen, sie verspottet, weil sie ihn hatten entkommen lassen. Er widerstand diesem Drang jedoch, kroch außer Sicht der Mauern und suchte Deckung hinter einem schneebedeckten Dickicht von Catyrbüschen. In diesem Versteck konnte er die Macht des Brunn-Quell auf eine Art nutzen, die ihm in der Stadt unmöglich gewesen war. Er öffnete sich ihr, fühlte ihre Hitze, die ihn überflutete, das Flehen des Brunn-Quell, benutzt zu werden… Die Intensität überwältigte ihn beinahe, weil er so geschwächt war, und er zitterte am ganzen Körper, während er darum rang, die Macht seinen Zwecken gefügig zu machen. Schließlich hatte er, was er wollte, ein Auge, das ihm die nächsten Verbündeten und Diener von Gorla oder Keshada zeigte. Er setzte sich aufrecht hin, richtete es nach Südwesten aus und spähte durch einen merkwürdigen Nebel in die Ferne. Beinahe sofort erblickte er einen Eckturm der langen, wachsenden Mauer, und einen Moment später auch ein Wesen, das ihn ebenfalls wahrnahm. Augenblicklich erkannte der Wächter den Diener der Schattenkönige und bot ihm an, Hilfe zu senden. Er akzeptierte das dankbar.
    Nachdem er den Brunn-Quell in sich wieder gebändigt hatte, lehnte er sich schweratmend zurück.

21
    Schon bald, meine Großen Gebieter, werdet Ihr erfahren,
dass sich das dritte Artefakt nicht in Besh-Darok befindet,
sondern auf dem Grund des Wilden Meeres.
    Sei leer, zu empfangen,
Brich, um ganz zu bleiben,
Sei nirgends, um überall zu sein.
    SPRICHWORT DER SCHAMANEN
    An dem dunklen, spiegelnden Teich in der Nähe der Lichtung, an der jeder Pfad ins Innerland der Hexenmähren begann, saß Tauric auf dem glatten Felsen am Rand des Wassers, warf trockene Zweige hinein und beobachtete die Wellen, die sie schlugen. Hinter ihm leerte Ghazrek gerade einen weiteren Teller mit Köstlichkeiten. Für den Offizier der Mogaun war seit ihrer Flucht aus dem Tempel in Nimas kaum ein halber Tag verstrichen, während Tauric fast eine Woche lang zahlreiche Hexenmähren in den Kokons ihrer

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