02 - Schatten-Götter
Erschrecken. Es war Gilly Cordale.
Doch seine Gesichtszüge waren kalkweiß und seine Augen farblos. Während Mazaret einige Worte mit ihm wechselte und ihm einen Dolch mit einem Knochengriff in einer gebogenen Scheide gab, beschlich sie ein undeutlicher Verdacht. Der Mann nahm die Waffe, stand auf und verschwand durch den Torweg, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Der nächste trat zu Mazaret, kniete sich hin und entblößte seinen Kopf. Sein Gesicht war mit dem des Mannes davor identisch.
Es waren Geistschatten, magische Doppelgänger, die auf die Essenz einer realen Person angewiesen waren, die ihnen eine Art Halb-Existenz gewährte. Aus ihren Erinnerungen wusste Suviel, dass man ihr dasselbe ebenfalls angetan und sie dabei all dessen beraubt hatte, was sie einst gewesen war. Das Kristallauge hatte den größten Teil davon restauriert, bevor sie gestorben war…
»Selbst die Handlanger des Feindes dienen unwissentlich meinen Plänen«, sagte die Erden-Mutter, während sich die Übergabe des Dolches bei den anderen Geistschatten wiederholte, die dem ersten durch den Torweg folgten. »Was sollen sie tun?«, fragte Suviel.
»Sie werden als Meuchelmörder ausgeschickt«, erklärte die Göttin. »Sie tragen tödliche Klingen bei sich, in deren Griffen genug Gift ist, um alles Lebende zu töten, ganz gleich wie stark und widerstandsfähig es auch sein mag. Wenn die Körper der Schattenkönige sterben, gewinnen die Fragmente des Herrn des Zwielichts ihre Freiheit. Die Akolythen haben sich heimlich mit der Theokratie von Jefren verbündet, als ihnen klar wurde, dass Byrnak und die anderen Schattenkönige den Fürsten der Finsternis dort lassen wollen, wo er ist. Was du siehst, ist das Ergebnis ihres Paktes. Sie könnten sich für uns vielleicht als nützlich erweisen, sollten andere Strategien scheitern …«
Die Erden-Mutter schnippte mit den Fingern. Erneut verschwand die Szene in einem wirbelnden Nebel, bildete sich neu und zeigte eine dunkle steinerne Kammer. Kleine Lampen brannten auf hohen Ständern in allen vier Ecken und beleuchteten einen großen, eisernen Käfig, der an Ketten von einer Decke herunterhing, die im Dunkeln lag. Unter dem Käfig schimmerte ein smaragdgrünes Muster, das in die Steinplatten des Fußbodens dieses Verlieses gemeißelt worden waren. Die Kurven und Haken der komplizierten Symbole kündeten von uralter Macht. Das gelbliche Licht der Lampen und das grüne Leuchten zeigten das verzerrte, bärtige Gesicht, das aus dem Käfig blickte, in einer ungesunden Farbe.
»Ystregul«, erklärte die Erden-Mutter. »Der erste Schattenkönig, den das Fragment des Herrn des Zwielichts in den Wahnsinn getrieben hat. Wie du siehst, wird er von einer Fülle von Zaubern gehalten. Obwohl ich sofort diesen Raum betreten könnte, würde meine bloße Gegenwart überall in Trevada Alarm auslösen. Aus diesem Grund, Suviel, werde ich dich in einen weniger heiklen Bereich von Trevada entsenden, von wo du dir einen Weg durch die Passage unter der Basilika suchen wirst, diese Kammer betrittst und ihn befreist.« Um so einem Meuchelmörder leichter Zugang zu ihm zu verschaffen?, fragte sich Suviel. Auf jeden Fall wird er mich dann angreifen können…
Aber sie senkte nur den Kopf vor der Göttin und hoffte, bald in die Ruhe des Nichts zurückkehren zu können. »Göttliche Mutter, Ihr befehlt über mich. Wann soll ich mit der Aufgabe beginnen?«
»Bald, Suviel, schon sehr bald.«
Tavo stemmte seine Füße auf einen eisfreien Vorsprung und hielt sich mit seiner unversehrten Hand an einem Spalt im Fels fest, während er angestrengt nach Luft rang. Er musste mittlerweile dicht unter der Spitze der Klippe sein. Es war ein langer, quälender Aufstieg gewesen, bei dem er zweimal gestürzt war, peitschende Regenschauer, Hagel und Schnee ertragen hatte und jetzt beinahe noch von dieser verräterischen Hexe Nerek entdeckt worden wäre. Das war vor mehreren Stunden gewesen, als sie und zwei dieser Magierhunde auf der Steinbrücke aufgetaucht waren, welche die Befestigungen des Festlandes mit den beiden Felsinseln verband, deren Wehrtürme den Zugang zum Hafen bewachten. Als sie an den beiden Seiten der Brücke hinunterblickten, hatte Tavo ganz flach und vollkommen ruhig dagelegen und jede Spur des Brunn-Quell aus seinem Wesen verdrängt. Nach einer Weile hatte er hinaufgeschaut und bemerkt, dass sie die Brücke verlassen hatten. Mit einem Dankgebet an den Fürsten des Zwielichts war er weiter nach oben geklettert
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